Schmerzensgeld bei HWS-Distorsion (Schleudertrauma)Wann haben Unfallopfer Anspruch auf Schmerzensgeld und in welcher Höhe?
Eine häufige Verletzung bei Verkehrsunfällen, die insbesondere bei Auffahrunfällen auf das Heck oder die Fahrzeugseite auftreten kann, betrifft die Halswirbelsäule. Ob dem Geschädigten Schmerzensgeld gegen den Unfallverursacher zusteht und worin die Schwierigkeiten bei der Geltendmachung von Schmerzensgeld für eine erlittene HWS-Distorsion bestehen, hängt von vielen Faktoren ab.
Die HWS-Distorsion in Folge eines Verkehrsunfalls ist ein Massenphänomen. In Deutschland wird sie Schätzungen zufolge etwa 400.000 Mal pro Jahr diagnostiziert. Diese nackte Fallzahl sagt aber nichts darüber aus, wie schwerwiegend die diagnostizierten Verletzungen sind. Die Abkürzung „HWS-Distorsion“ steht für die Distorsion – also die Verstauchung oder Verzerrung – im Bereich der Halswirbelsäule. In vielen Fällen sind Weichteile wie Bindegewebe und Muskeln im Bereich der Halswirbelsäule betroffen. In schweren Fällen können auch Bänder der Halswirbel, Bandscheiben, Gelenke oder Knochen verletzt sein.
Wodurch wird eine HWS-Distorsion / Schleudertrauma ausgelöst?
Zu einer HWS-Distorsion, die auch „Schleudertrauma“ genannt wird, kommt es durch ein schnelles starkes Beugen und daraufhin Zurückschleudern des Kopfes aufgrund eines sofortigen Bewegungsstopps etwa durch den Sicherheitsgurt im Auto. Dabei wird der Kopf überstreckt, da die verletzte Person bei dieser Bewegung ihren Kopf nicht rechtzeitig stabilisieren kann. Deshalb ist das Schleudertrauma auch als „Peitschenhieb-Syndrom“ benannt. Im englischen Sprachgebrauch ist die Verletzung ohnehin unter der Bezeichnung „whiplash injury“ bekannt.
Das Schleudertrauma kann allerdings auch durch andere Unfallereignisse als Verkehrsunfälle ausgelöst werden. Ein gewisses Risiko für solche Verletzungen bieten einige Sportarten wie Boxen und andere Kampfsportarten, Skifahren und Sprungsportarten.
Symptome der HWS-Distorsion
Die HWS-Distorsion kann sich in verschiedenen Krankheitssymptomen zeigen. Typische Symptome sind Kopf- und Nackenschmerzen, Schwindel, Sprachstörungen, Sehstörungen, Übelkeit, Schluckstörungen und Gangunsicherheit. HWS-Distorsionen können als leichte Verletzung bis hin zu schweren und chronischen Beschwerden auftreten.
Bei der juristischen Beurteilung der Verletzungsfolgen und den sich daraus ergebenden Schmerzensgeldansprüchen der verletzten Person wird die HWS-Distorsion in drei Schweregrade eingeteilt.
HWS-Distorsion 1. Grades
Bei der HWS-Distorsion 1. Grades leidet der Verletzte unter Nacken- und Kopfschmerzen. Betroffene Personen klagen in diesem Stadium häufig über ein Steifheitsgefühl und leichte Bewegungseinschränkungen. Die Symptome treten nicht unbedingt direkt nach dem Unfall auf, sondern können sich bis zu 48 Stunden später erstmals bemerkbar machen. Die Verletzung lässt sich nur schwer diagnostizieren, da bei der HWS-Distorsion 1. Grades keine körperlichen Verletzungen vorliegen, die mittels Röntgenbilder oder neurologischer Untersuchungen nachweisbar wären.
HWS-Distorsion 2. Grades
Die HWS-Distorsion 2. Grades zeichnet sich durch mittelschwere Bewegungseinschränkungen, die mit Schmerzen verbunden sind, aus. Es kann zu Schiefstand, Kapseleinrissen oder Gefäßverletzungen kommen. Diese Verletzungen des 2. Grades sind über diagnostische Verfahren wie die Anfertigung von Röntgenbildern nachweisbar. Die Symptome machen sich üblicherweise bereits innerhalb der ersten Stunde nach dem Unfall bemerkbar.
HWS-Distorsion 3. Grades
Bei der HWS-Distorsion 3. Grades handelt es sich um schwere Fälle des Schleudertraumas, bei denen es zu Rissen (Bänderriss oder Bandscheibenriss), Frakturen (Knochenbrüche) oder Verrenkungen gekommen ist. Anders als bei dem Schleudertrauma 1. Grades treten die Symptome unmittelbar nach dem Unfall auf.
Der Schmerzensgeldanspruch bei der HWS-Distorsion
So wie bei einem Unfall die geschädigte Person Anspruch auf Ersatz ihrer materiellen Schäden im Wege des Schadenersatzanspruchs gegen den Unfallverursacher geltend machen kann, so besteht bei körperlichen Beeinträchtigungen, d.h. immateriellen Schäden, Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld. Dieses soll für den durch den Verkehrsunfall verursachten Schaden, der kein Vermögensschaden ist, entschädigen.
Die Höhe des Schmerzensgeldes hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Wichtigstes Kriterium ist das Ausmaß der erlittenen Verletzungen. Es liegt auf der Hand, dass eine HWS-Distorsion 3. Grades mit Knochenfraktur, lange andauernden und ausgeprägten Schmerzen, einem langwierigen Heilungsverlauf, in dessen Zuge der Verletzte sich mehreren Operationen und den damit verbundenen stationären Krankenhausaufenthalten unterziehen muss, einen höheren Schmerzensgeldanspruch auslöst als ein leichtes Schleudertrauma mit diffusen und nur kurz anhalten Schmerzsymptomen, deren sichtbarstes Zeichen auch für den Patienten selbst die vorsichtshalber verordnete Halskrause ist.
Gerichtliche Schätzung der Schmerzensgeldhöhe
Das Schmerzensgeld bemisst sich im gerichtlichen Verfahren nach den Grundsätzen der Billigkeit, die das Gericht gemäß § 287 BGB schätzen darf. Neben der Schwere der Verletzung sind die Schmerzen, die Beeinträchtigung des Alltagslebens und die Umstände des Heilungsverlaufs wichtige Kriterien bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe.
Weshalb die Bestimmung des Schmerzensgeldes und die Vorhersage, wie hoch das zuständige Gericht das Schmerzensgeld in einem Klageverfahren festsetzen wird, nicht exakt möglich ist, zeigt sich an diesen Kriterien. Es handelt sich um unbestimmte Begriffe, die erst durch den genauen Sachverhalt im Einzelfall ausgefüllt werden. Unfälle und die dadurch ausgelösten Beschwerden sind nie vollkommen identisch. Der Heilungsprozess gleichartiger Verletzungen kann bei verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich verlaufen, und wie stark der Einzelne die Verletzung in seinem Alltagsleben als Beeinträchtigung empfindet, ist ebenso wie das Schmerzempfinden ganz individuell.
Wonach bemisst sich die Schmerzensgeldhöhe?
Deshalb gibt es keine feststehenden Schmerzensgeldsätze, die je nach Verletzung herangezogen werden können. Es kommt immer auf die individuellen Umstände des Einzelfalls an. Allerdings gibt es aufgrund der Vielzahl der Fälle einen enormen Fundus an bereits ergangenen Entscheidungen zu Schmerzensgeldklagen. Diese rechtskräftigen Entscheidungen lassen sich als Vergleichswerte heranziehen und ermöglichen eine erste grobe Einschätzung der im eigenen Fall realistisch zu erwartenden Schmerzensgeldhöhe. Je besser der entschiedene Fall zu den eigenen Verletzungen passt, und je mehr vergleichbare Entscheidungen sich zu dem eigenen Problem finden lassen, desto überzeugender können die Entscheidungen als Richtwert herangezogen werden. Diesem Zweck – nämlich einem ersten Anhaltspunkt für die mögliche Schmerzensgeldhöhe und als Argumentation gegenüber der Gegenseite – dienen die verfügbaren Schmerzensgeldtabellen. Dabei ist aber immer darauf zu achten, mögliche Besonderheiten des konkreten Einzelfalls herauszuarbeiten, die ein Abweichen von bereits ergangenen Urteilen zu Schmerzensgeldansprüchen rechtfertigen.
Beispiele für Schmerzensgeldbeträge aus der Praxis
Die üblichen Schmerzensgeldbeträge liegen bei einer nachgewiesenen HWS-Distorsion zwischen 150 Euro und 6000 Euro.
Schmerzensgeld bei leichtem Schleudertrauma
So hat etwa das Saarländische Oberlandesgericht einer Frau, die sich bei einem Verkehrsunfall ein leichtes HWS-Schleudertrauma zugezogen hat, ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 Euro zugesprochen (Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 16.12.2003, Az. 3 U 144/09). Die Frau gab an, nach dem Unfall unter Schmerzen an Rücken und Schultergürtel unter Schmerzen sowie im Bereich des Nackens und der Halswirbelsäule unter Druckschmerzen gelitten zu haben. Sie wurde für vier Tage arbeitsunfähig krankgeschrieben. Sie machte allerdings keine näheren Angaben zu dem erlittenen Schleudertrauma, für das sie die Zahlung des Schmerzensgeldes verlangte.
In einem anderen Fall erhielt der Verletzte für ein leichtes Schleudertrauma bei Zerrung der Halswirbelsäule sowie oberflächliche Schürfwunden an der Stirn ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 Euro (Landgericht Osnabrück, Urteil vom 22.12.2004, Az. 1 O 976/03).
Beispiele für vergleichsweise hohes Schmerzensgeld
Das Oberlandesgericht München verurteilte einen Autofahrer zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 13.000 Euro (Oberlandesgericht München, Urteil vom 21.03.2014, Az. 10 U 3341/13). Dieser hatte einen Autounfall verursacht, bei dem eine Person ein HWS-Schleudertrauma 1. Grades erlitt, in dessen Folge sie zunächst über drei Monate arbeitsunfähig krankgeschrieben war und danach drei Jahre nur eingeschränkt arbeitsfähig war. Der Verletzte litt seit dem Unfall an chronischen Nackenschmerzen.
In einem weiteren Fall erhielt ein bei einem Autounfall Verletzter aufgrund eines Urteils des Oberlandesgerichts Celle Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 20.451,68 Euro gegen den Unfallverursacher (Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 02.11.2000, Az. 14 U 277/99). Durch den Unfall hatte der Verletzte ein HWS-Schleudertrauma 2. Grades mit der Folge psychosomatisch bedingter chronischer Nacken- und Kopfschmerzen und periodisch auftretender Schwindelgefühle, Hörstörungen und Taubheitsgefühle in der rechten Hand erlitten. Aufgrund der Schwere der Verletzungen war er eineinhalb Jahre lang arbeitsunfähig und konnte seinen erlernten Beruf auch später nicht mehr ausführen, weshalb er umschulen und einen neuen Beruf erlernen musste.
Ebenfalls für ein Schleudertrauma 2. Grades hat ein bei einem Verkehrsunfall Verletzter ein Schmerzensgeld von 35.807 Euro erhalten (Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 26.02.2015, Az. 4U 26/14). Das Oberlandesgericht Saarbrücken hielt diesen Schmerzensgeldbetrag angesichts des grob fahrlässig verursachten Verkehrsunfalls und der gravierenden Unfallfolgen für angemessen. Das Unfallopfer erlitt neben einem Beckenbruch, dem Bruch des linken Unterarms und der linken Augenhöhle, einem Nasenbeinbruch und einer Lungenquetschung ein Schleudertrauma 2. Grades. Als schmerzensgelderhöhend wertete das Gericht neben dem Grad der Verletzungen und der langen Rekonvaleszenzzeit die Tatsache, dass der Unfall grob fahrlässig verursacht worden war und dass die schadenersatzpflichtige Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers die Schadenregulierung trotz erkennbar begründeter Schmerzensgeldansprüche des Unfallopfers verzögerte, ohne dass dafür ein schutzwürdiger Grund vorlag.
Die Darlegungs- und Beweislast des Unfallopfers
Die Beispiele zeigen, wie stark die Höhe des Schmerzensgeldes variieren kann. Der Verletzte, der einen Anspruch auf Schmerzensgeld geltend macht, befindet sich in der vollen Darlegungs- und Beweispflicht. Er hat alle Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich sein Anspruch und die Schmerzensgeldhöhe ergeben. Der durch den Unfall Verletzte muss also zum einen nachweisen, dass der Unfallgegner, von dem bzw. von dessen Haftpflichtversicherung er die Bezahlung von Schmerzensgeld verlangt, den Unfall verursacht hat. Zum anderen muss er nachweisen, welche Verletzungen durch den Unfall ausgelöst wurden und dass die Verletzungen, für deren Kompensation das Schmerzensgeld gezahlt werden soll, auch tatsächlich direkt durch den Unfall verursacht wurden. Die Verletzungen und alle Umstände, die zur Bemessung der Schmerzensgeldhöhe herangezogen werden, müssen so detailliert wir möglich dargelegt und unter Beweis gestellt werden – etwa durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens.
Eine allgemeine Bagatell- oder Harmlosigkeitsgrenze kennt das Schmerzensgeldrecht übrigens nicht. Auch geringe Verletzungen können ein Schmerzensgeld rechtfertigen. Jedoch kann sich der Nachweis einer leichten HWS-Distorsion aufgrund der fehlenden eindeutigen Diagnosemöglichkeiten als problematisch erweisen. Mit seinem Urteil vom 16.12.2003 hat das Saarländische Oberlandesgericht zwar in einem Fall trotz fehlender näherer Angaben zum erlittenen leichten Schleudertrauma 1. Grades einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von immerhin 500 Euro bejaht. Dieses Verfahren hat aber nicht zu einem allgemeinen Absenken der Anforderungen an die Erfüllung der Darlegungs- und Beweislasten geführt. Es handelte sich um einen Einzelfall, der sich nicht identisch wiederholt. An einem konkreten und detaillierten Vortrag zu den erlittenen Beeinträchtigungen führt deshalb kein Weg vorbei.