Im Anschluss an das EuGH-Urteil hat sich Google (zumindest scheinbar) an die neue europäische Rechtslage gehalten. Laut Google-Transparenzbericht gab es seither 290.353 Löschungsanträge.
Die Löschungen erfolgen allerdings mit begrenzter Reichweite – nämlich nur innerhalb des EU-Raums. Außerhalb der EU-Grenzen tastet Google die bemängelten Links nach wie vor nicht an. Rechtlich mag die Europäische Union somit eine begrenzte Vergesslichkeit des Internets durchgesetzt haben, aber im weltweiten Maßstab gilt nach wie vor: Das Internet vergisst nicht.
Link-Löschungen lassen sich leicht umgehen
Aus dieser Praxis macht Google auch kein Geheimnis. Und da sich die regionalen Beschränkungen bei der Google-Suche mit einfachen Mitteln umgehen lassen und somit nach wie vor auf die weltweiten statt die für den EU-Raum angepassten Google-Ergebnislisten zugegriffen werden kann, ist es mit dem sogenannten „Recht auf Vergessen“ in der Realität der Internetnutzung nicht weit her.
CNIL fordert Google zur weltweiten Löschung auf
Die französische Datenschutzbehörde CNIL will dies nicht hinnehmen und hat Google Mitte Juni 2015 dazu aufgefordert, dies zu ändern und persönlichkeitsverletzende Links, die nach europäischem Recht zu löschen sind, auch weltweit aus seinen Ergebnislisten zu löschen.
Dazu ist Google aber nicht bereit und kommentiert diese Aufforderung als „beunruhigende Entwicklung“, da „kein Land die Autorität haben sollte, zu kontrollieren, auf was jemand in einem anderen Land zugreifen kann“. „Während das Recht auf Vergessen nun in Europa Gesetz sein mag, ist es global kein Gesetz“, erklärte das Unternehmen.
Google verlangt Rücknahme der CNIL-Aufforderung
Deshalb hat Google die CNIL aus Prinzip gebeten, die Aufforderung zurückzuziehen. Es ist jedoch zu erwarten, dass weder CNIL noch Google freiwillig klein beigeben werden. Die CNIL behält sich ausdrücklich Sanktionen vor, namentlich die „Möglichkeit einer Strafphase“, wonach ein Bußgeld bis zu 150.000 Euro drohe.
Der ewige Konflikt: Datenschutz versus Meinungsfreiheit
Ob man Google mit solchen Zahlen beeindrucken kann, darf bezweifelt werden. Davon einmal abgesehen berührt der Konflikt aber eine grundlegende Interessenkollision im Internetzeitalter – nämlich die Kollision von Daten- und Persönlichkeitsschutz auf der einen sowie dem Transparenz-, Informations- und Meinungsfreiheitsanspruch der Öffentlichkeit auf der anderen Seite. Im Fall Google und der Linksetzung zu persönlichkeitsverletzenden Inhalten von Privatpersonen spricht zunächst vieles für die Stärkung des Datenschutzes - vor allem, wenn alles innerhalb eines rechtsstaatlichen und seinerseits transparenten Verfahrens abläuft.
„Recht auf Vergessen“ als Vorbote weltweiter Zensur?
Es gibt also gute Argumente für das europäische „Recht auf Vergessen“, und es mag ein sympathischer Gedanke sein, dies auch weltweit durchzusetzen. Was passiert aber, wenn nicht nur europäische Datenschutzbehörden, sondern weltweit Zensoren aus welchen politischen Gründen auch immer entsprechende Begehrlichkeiten entwickeln? Google bemerkte in seiner Stellungnahme an die CNIL, dass, wenn man der Aufforderung zur weltweiten Löschung nachkomme, das Internet nur so frei sei, wie es das am wenigsten freie Land erlaube.
Das sind große Worte. Aber Rechtsordnungen haben sich zunächst einmal auf ihr eigenes Hoheitsgebiet zu beschränken. Von diesem Grundsatz gibt es eine Reihe begründeter Ausnahmen. Ob es sich beim Recht auf Vergessen um eine solche Ausnahme handelt, wird demnächst wohl gerichtlich entschieden werden.