„Angehörige fordern deutlich höhere Entschädigungen von Lufthansa“ So die Schlagzeile eines Artikels in der Zeit von Sonntag, 19.07.2015:
Folgt man dem Inhalt des Beitrags, hat die Lufthansa jedem Angehörigen der Opfer des Germanwings-Absturzes ein pauschales Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro angeboten. Die Anwälte der Hinterbliebenen verhalten sich zum Teil, wie man dies von Opfer-Anwälten kennt. Sie schreien „Unverschämtheit, viel zu wenig“ und wollen mehr und mehr, z.B. 100.000 Euro für jedes Opfer. Und auch der Kreis der Angehörigen soll ausgeweitet werden. Großeltern, Enkel und Geschwister müssten einbezogen sein. In einem anderen Interview forderte genau dieser Opfer-Anwalt eine Entschädigung pro Hinterbliebenen von 200.000 Euro.
Trotz des hoch emotionalen Themas sollten wir sachlich bleiben. In dem Blogbeitrag „Schmerzensgeld für Angehörige“ habe ich auf die rechtliche Situation hingewiesen. Danach steht den Opfern kein oder, in Ausnahmefällen, nur ein geringes Schmerzensgeld zu. Das Angebot der Lufthansa liegt über dem, was Gerichte in Deutschland aufgrund der gesetzlichen Lage Angehörigen von Opfern in solchen Fällen zusprechen. Ein Rechtsstreit der Angehörigen über die geforderten Summe von 100.000 oder 200.000 Euro pro Opfer und die Ausweitung auf weitere Angehörige würde keinen Erfolg haben.
Aus diesem Grund bleibt nur das Verhandeln mit Lufthansa und hier muss derjenige, der nach hohen und höchsten Summen schreit, wissen, dass er damit nicht allen betroffenen Opfern der Katastrophe gerecht wird.
Hohe Summe von Schmerzensgeld kann Leid nicht mindern
Dennoch, auf der anderen Seite muss auch die Lufthansa erkennen, dass das Feilschen um relativ geringe Beträge für die Opfer zusätzliches Leid bedeutet, da es die Qualität dieses Leids abwertet. Es gilt, auf beiden Seiten Fingerspitzengefühl zu zeigen. Marktschreierische Parolen und die Diffamierung des Gegners führen nicht zu vernünftigen Ergebnissen. Das kann nur eine sachliche Argumentation leisten. Der Opfer-Anwalt hat ein eigenes Interesse, den Preis nach oben zu treiben. Es ist gut für sein Renommee und natürlich auch für sein Portemonnaie. Betroffene in dieser Situation in einen Prozess zu treiben, wäre nicht nur falsch, sondern auch als „verwerflich“ anzusehen, denn ein solcher Prozess kann keinen Erfolg haben. Im Gegenteil, er führt zu einer Verlängerung des Leids der Betroffenen über Jahre, möglicherweise Jahrzehnte hinweg. Diejenigen, die sich auf einen Prozess einlassen, werden täglich und vor allem auch in der Nacht damit befasst sein. All die, die sich dem Verfahren nicht anschließen, werden zwangsläufig kontinuierlich durch die Berichterstattung der Medien an das Leid erinnert. Die Folge ist eine permanente Retraumatisierung.
Was nun ist eine vernünftige Lösung?
Die Angehörigen der Opfer möchten durch eine möglichst hohe Zahlung die Anerkennung ihres Leids bestätigt sehen. Doch wird sich keiner der Angehörigen an dem Tod eines Familienmitglieds bereichern wollen. Denn das würde nicht zu einer Befriedigung, sondern eher zu einer Belastung für den Angehörigen führen.
Die Lufthansa könnte sicher problemlos deutlich mehr zahlen, muss aber viele Gesichtspunkte einer solchen Entscheidung erwägen, nicht nur für sich alleine und die eigene Zukunft, sondern auch für die Gesellschaft. Flugzeugunglücke wird es immer wieder geben. Und immer wieder wird sich die Frage nach der Entschädigung stellen.
Wird die Messlatte jetzt hoch gelegt, werden sich Zahlungen in Zukunft an dieser Höhe messen lassen müssen.
Keine gesetzliche Regelung für Opferentschädigung
Begründet werden kann diese Zahl natürlich mit dem möglichen eigenen Anspruch der Angehörigen, der aber bis heute nicht gesetzlich geregelt ist. Er wird nur dann gewährt, wenn die Angehörigen als Folge der Katastrophe eine eigene schwere Erkrankung nachweisen. Die bloße Trauer oder auch eine leichte Depression reichen nach der Rechtsprechung nicht aus, ein Schmerzensgeld zu gewähren.
Begründen kann man die Höhe des Schmerzensgeldes aber mit dem Leid der Insassen des Katastrophenflugzeuges. Das ungute Bauchgefühl, die schweißnassen Hände oder die pure Angst sind vielen vertraut, die schon einmal Turbulenzen in einem Flugzeug miterlebt haben. Das Szenario, zu erkennen, dass ein Flugzeug in den sicheren Tod steuert und alle Beteiligten nichts dagegen unternehmen können, ist an Angst, Leid, Panik sicher kaum zu übertreffen. Die Rechtsprechung richtet sich bei der Begründung des Schmerzensgeldes natürlich auch nach der Intensität des Leids und gewährt zum Beispiel Opfern von Unfällen, die den Unfall nur kurze Zeit überleben, nur ein geringes Schmerzensgeld.
Als Begründung wird hier der zeitliche Vergleich zu anderen Opfern herangezogen, die ein Leben lang leiden müssen.
In einem Ausnahmefall wie hier könnte man aber die Intensität des Leids durchaus sehr hoch ansetzen und in Verbindung mit einer gewünschten Anerkennung dieses Leids gegenüber den Angehörigen das Schmerzensgeld durchaus auf 100.000 Euro anheben. Dies wäre ein Kompromiss, der schnell auch zu Akzeptanz und zur Beruhigung führen würde. Die Entlastung, die das den Angehörigen bringt, sollte nicht unterschätzt werden, sondern an erster Stelle stehen. Keine noch so hohe Entschädigung kann das Geschehene wieder gutmachen und das Leid vermindern. Eine hohe und vernünftige Zahlung würde aber für die Angehörigen eine Art „Erlösung“ von der Dauerqual sein und den Übergang in die Trauerarbeit ermöglichen, die lange genug andauern wird.