Das bekannteste und in unzähligen Hollywood-Filmen thematisierte Zeugenschutzprogramm der Welt ist sicherlich das Zeugenschutzprogramm der USA. Dieses wurde 1970 im Rahmen der Bekämpfung organisierter Kriminalität als „United States Federal Witness Protection Program“ unter dem amerikanischen Justizministerium eingerichtet. Ausgeführt wird es durch den United States Marshals Service.
In Deutschland gibt es kein solches zentralisiertes Zeugenschutzprogramm unter dem Dach einer Behörde. Das heißt aber nicht, dass Zeugen von Straftaten nicht vor Einschüchterungsversuchen und Gefahren für Leib und Leben geschützt werden können. Neben Zeugenschutzprogrammen des Bundeskriminalamts haben alle Bundesländer eine eigene Zeugenschutzstelle eingerichtet, die verschiedene Maßnahmen des Zeugenschutzes bis hin zu umfassendem Polizeischutz, Umzug und Identitätswechsel – also das, was dem landläufigen Verständnis von Zeugenschutzprogramm nahe kommt – veranlassen können.
Das Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz
Grundlage für diese Ausgestaltung von Zeugenschutzprogrammen ist das Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz (ZSHG). Dieses regelt in § 1 ZSHG, dass Personen, „ohne deren Angaben in einem Strafverfahren die Erforschung des Sachverhalts […] aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre, mit ihrem Einverständnis geschützt werden, sofern sie auf Grund ihrer Aussagebereitschaft einer Gefährdung von Leib, Leben, Gesundheit, Freiheit oder wesentlicher Vermögenswerte ausgesetzt“ sind und sich für Zeugenschutzmaßnahmen eignen.
Die Zeugenschutzmaßnahmen können auf Angehörige oder nahestehende Personen des gefährdeten Zeugen erstreckt werden.
Die Zeugenschutzdienststellen der Länder
Die gravierendste Maßnahme des Zeugenschutzes ist der Rund-um-die-Uhr-Polizeischutz verbunden mit Umzug und komplettem Identitätswechsel. Auch dies ist bei Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm der zuständigen Zeugenschutzdienststelle in Deutschland möglich. Allerdings ist dies auf absolute Ausnahmefälle im Rahmen der Bekämpfung organisierter Kriminalität beschränkt, bei der der Zeuge aufgrund seiner Aussage voraussichtlich auch Jahre später noch um sein Leben fürchten muss. Die Zeugenschutzdienststelle wägt nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 2 Absatz 2 ZSHG) ab, welche Zeugenschutzmaßnahmen im konkreten Fall angewandt werden.
Zeugenschutz bis zum Identitätswechsel mit Tarnidentität
Dass dabei nicht bei jeder Bagatellstraftat das volle Register möglicher Zeugenschutzprogramme gezogen wird, ist nich nur eine behördliche Notwendigkeit zur Schonung finanzieller und personeller Ressourcen, sondern liegt auch im Interesse der Zeugen selbst. Denn ein vollständiger Identitätswechsel mit neuem Namen erfordert die Aufgabe aller bisherigen sozialen Beziehungen, einen örtlichen Umzug und möglicherweise die vollständige berufliche Neuorientierung, wenn die Gefahr besteht, im alten Beruf auch an einem neuen Ort auf bereits bestehende berufliche Kontakte zu treffen.
In den erforderlichen Fällen dürfen die Zeugenschutzdienststellen einen zu schützenden Zeugen gemäß § 5 ZSHG mit einer vorübergehenden Tarnidentität versehen und dazu die Ausstellung entsprechender Tarndokumente wie einem Personalausweis mit den Daten der Tarnidentität veranlassen. Personalausweise und Pässe dürfen allerdings nur für Deutsche im Sinne von Artikel 116 Grundgesetz ausgestellt werden.
Zeugenschutzprogramme sind auf Gefährdungszeitraum befristet
Zeugenschutzprogramme sind grundsätzlich nicht auf die Ewigkeit ausgelegt, sondern sollen stets nur so lange laufen, wie eine entsprechend hohe Gefährdung für den Zeugen besteht. Die Beendigung des Strafverfahrens führt allerdings nicht zur automatischen Beendigung der Zeugenschutzmaßnahmen. Maßgeblich ist allein die Gefährdungslage für den Zeugen.
Zeugenschutzprogramme nach dem Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz sind stets das letzte Mittel und kommen in besonders gravierenden Fällen und insbesondere bei Ermittlungen im Bereich der organisierten Kriminalität in Betracht.
Der Zeugenschutz im Ermittlungsverfahren und vor Gericht
Für den „alltäglichen“ Zeugenschutz und den Schutz der Zeugen vor Angriffen im Gerichtssaal sehen die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz eine Reihe von Zeugenschutzmaßnahmen vor, die das Gericht oder die Staatsanwaltschaft veranlassen können. So kann auf Antrag eines Zeugen dessen Adresse im Ermittlungsverfahren geheimgehalten bzw. nicht in den Akten von Staatsanwaltschaft und Gericht genannt werden, so dass der Beschuldigte im Rahmen der ihm zustehenden Akteneinsicht keine Kenntnis von der Adresse des ihn belastenden Zeugen erhält.
In bestimmten Fällen kann der Zeuge, sofern bei Anwesenheit des Angeklagten eine ihn belastende und seine Aussage möglicherweise beeinflussende Einschüchterungssituation zu befürchten ist, sogar außerhalb des Gerichtssaals als Zeuge vernommen werden und seine Zeugenaussage und –Vernehmung über Live-Videoaufnahmen in den Gerichtssaal übertragen werden.
Das Gerichtsverfassungsgesetz ermöglicht ferner gemäß § 172 Nr. 1 a den Ausschluss der Öffentlichkeit von einer Gerichtsverhandlung, wenn „eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person zu besorgen ist“.