Vielmehr kann es die Rente wegen Erwerbsminderung auch bei nicht mehr vorhandener Wegefähigkeit geben.
1. Was ist Wegefähigkeit? – Fähigkeit Fußwege und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel
Nach § 43 Absatz 2 SGB VI hat ein Versicherter Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn er nicht mehr wegefähig ist. Die Wegefähigkeit setzt voraus, dass der Versicherte nicht viermal am Tag Wegstrecken von über 500 Metern innerhalb von 20 Minuten zu Fuß bewältigen und ferner zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann.
Hiermit ist gemeint, dass die Fähigkeit bestehen muss, täglich zu einer Arbeitsstelle zu kommen und wieder nach Haus zu kommen. Hierzu muss die Fähigkeit der genannten Fußwege bestehen, was meint:
- vor der Arbeit von zu Hause zu öffentlichen Verkehrsmitteln zu gelangen
- von den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu gelangen
- nach der Arbeit wieder zu öffentlichen Verkehrsmitteln zu gelangen
- von öffentlichen Verkehrsmitteln wieder nach Haus zu gelangen.
Die Wegstrecke von 500 m ist pauschal gesetzt. Diese ist unabhängig davon, ob innerhalb dieser 500 m tatsächlich eine Haltestelle vorhanden ist und dort öffentliche Verkehrsmittel regelmäßig verkehren. Es soll zumutbar sein, in die Nähe einer solchen Haltestelle zu ziehen, unabhängig davon, ob man zur Miete oder im Eigentum wohnt.
Bewältigt man viermal täglich die Wegestrecke von 500 m jeweils in 20 Minuten zu Fuß, reicht dies noch nicht für die Wegefähigkeit aus. Zusätzlich muss man zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können. Dies kann beispielsweise ausgeschlossen sein, bei bestimmten Atemwegserkrankungen oder bei schmerzhaften orthopädischen Erkrankungen, welche kein Sitzen und Stehen in öffentlichen Verkehrsmitteln erlauben.
2. Wegefähigkeit mit eigenem Pkw
Ist die Wegfähigkeit aufgrund der notwendigen Fußwege oder aufgrund der Nichtnutzung öffentlicher Verkehrsmittel nach den oben geschilderten Kriterien nicht mehr gegeben, wird geprüft, ob die Wegefähigkeit sich aus der Nutzung des eigenen Pkw ergibt. Kann man selbst noch einen eigenen Pkw führen, ist man in der Lage, eine Arbeitsstelle aufzusuchen und nach der Arbeit mit dem Pkw wieder nach Haus zu kommen. Mithin besteht dann die Wegefähigkeit.
3. Was ist bei Abschaffung des eigenen Pkw?
Besteht die Wegefähigkeit nur noch durch die Nutzung des eigenen Pkw und wird dieser Pkw abgeschafft, dann ist man im Ergebnis nicht mehr wegefähig. Dieses Problem hatte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 08.10.2021 zum Aktenzeichen L 4 R 1015/20 zu entscheiden.
Hier beantragte die Klägerin bei ihrer Rentenversicherung die Rente wegen Erwerbsminderung. Sie verfügte sowohl über eine Fahrerlaubnis und wie auch über einen Pkw. Die Wegefähigkeit bestand nur noch mit Nutzung des Pkw. Daher lehnte die Rentenversicherung die Rente wegen Erwerbsminderung ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid zurückgewiesen, dass die Klägerin beim Sozialgericht Köln Klage erhob. Während des Klageverfahrens schaffte die Klage den Pkw ab. Hierauf war die Klage erfolgreich. Die Rentenversicherung ging in Berufung, welche vom Landessozialgericht zurückgewiesen wurde.
Nach dem Urteil des Berufungsgerichts ist der Grund für die Abschaffung des Pkw unerheblich. Das Gericht stellte zugleich klar, dass es nicht darauf ankommt, ob die Abschaffung auf einer subjektiv empfundenen Fahrunsicherheit erfolgt oder aus technischen Umständen wie beispielsweise Ablauf des TÜV. Es ist es unerheblich, ob die Abschaffung auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhe.
Entgegen der Ansicht der Rentenversicherung lässt sich ein Ausschluss des Anspruchs nicht begründen. Der Ausschluss nach § 103 SGB VI der Rentenleistung ist möglich, wenn die erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt wurde. Dies war hier nicht der Fall. Es wurden keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen herbeigeführt.
4. Schlussfolgerung für vergleichbare Fälle
Wenn die weitgehend gesundheitlich eingeschränkte Gehfähigkeit nicht vorsätzlich herbeigeführt wird, ist kein Ausschluss der Rentenzahlung nach § 103 SGB VI möglich. Daher kann die Rente wegen Erwerbsminderung nicht versagt werden aufgrund von:
- Abschaffung eines Pkw
- Nichtanschaffung eines Pkw
- Verlust der Fahrerlaubnis
- Nichterwerb der Fahrerlaubnis
Mangels einer Rechtsgrundlage besteht keine Obliegenheit, einen Pkw anzuschaffen oder zu behalten, bzw. eine Fahrerlaubnis zu erwerben, bzw. zu behalten oder wiederzuerlangen.