Insbesondere im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen – sei es durch eine Kündigung oder einen Aufhebungsvertrag – kommt es immer wieder zu Streitigkeiten über Resturlaubsansprüche bzw. die Zahlung von Urlaubsabgeltung für Urlaubstage, welche bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen wurden oder, wie z.B. im Fall einer Erkrankung des Arbeitnehmers, nicht (mehr) genommen werden konnten.
EuGH-Entscheidung: Kein Verfall von arbeitsvertraglichen Urlaubstagen ohne Hinweis
Bereits 2018 hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Urlaubsansprüche grundsätzlich nicht verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Hinweise auf den möglicherweise drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen rechtzeitig in die Lage versetzt hatte, seinen Resturlaub zu nehmen.
Mit einer aktuellen Entscheidung vom 20.12.2022 (Az. 9 AZR 266/20) hat das Bundesarbeitsgericht nun weitere Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umgesetzt, welche die Frage der Verjährung von Urlaubsansprüchen bzw. Urlaubsabgeltungsansprüchen betreffen.
Urlaubsabgeltung für 100 Urlaubstage – geht das?
In dem entschiedenen Fall war die klagende Arbeitnehmerin von 1996 bis zum 31.07.2017 als Steuerfachangestellte bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Arbeitgeber ihr rund 3.200,00 Euro brutto zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen. Die Klägerin forderte allerdings noch weitere Urlaubsabgeltung, nämlich für insgesamt 101 Arbeitstage für von ihr in den Jahren zwischen 2013 und 2017 nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub.
Nachdem der Arbeitgeber die weitere Urlaubsabgeltung nicht zahlen wollte, landete der Fall zunächst 2018 vor dem Arbeitsgericht, welches die Klage abgewiesen hat. Das Landesarbeitsgericht als Berufungsinstanz hatte der Klägerin Urlaubsabgeltung für weitere 76 Arbeitstage zugesprochen. Der beklagte Arbeitgeber legte dagegen Revision ein. Der Arbeitgeber verteidigte sich im Wesentlichen damit, dass die Urlaubsansprüche verjährt seien.
Verjährungsfrist beginnt erst mit Hinweis auf Verfall!
Das Bundesarbeitsgericht legte den Fall dann dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Das Bundesarbeitsgericht wollte die Fragte geklärt haben, ob die deutschen Verjährungsregelungen, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bzw. Urlaubsabgeltung nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, mit höherrangigem Recht, nämlich mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie und der EU-Grundrechtscharta vereinbar sind. Das Bundesarbeitsgericht hatte diesbezüglich Zweifel.
Der Europäische Gerichtshof hat hierzu im September 2022 entschieden, dass Regelungen zur Verjährung von Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsansprüchen grundsätzlich zulässig sind. Die dreijährige Verjährungsfrist beginne allerdings erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen arbeitsvertraglichen Urlaubsanspruch und die Verfallfristen informiert habe und der Arbeitnehmer den Urlaub dann dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe!
BAG: Urlaubsabgeltung rechtzeitig eingefordert
Im entschiedenen Fall hatte der beklagte Arbeitgeber die Mitarbeiterin nicht auf den möglichen Verfall von Urlaubsansprüchen hingewiesen und auch nicht dazu aufgefordert, den offenen Urlaub rechtzeitig zu nehmen. Deswegen hat das Bundesarbeitsgericht in Umsetzung der Entscheidung des EuGH jetzt geurteilt, dass keine Verjährung eingetreten sei und dass die Klage auf Zahlung der Urlaubsabgeltung rechtzeitig erhoben worden sei.
Tragende Begründung hierfür – so der EuGH und jetzt auch das Bundesarbeitsgericht – ist, dass anderenfalls der Arbeitgeber, welcher zuvor seine Hinweisobliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer verletzt hat, davon profitieren würde, wenn Urlaubstage infolge dieser Nachlässigkeit nicht genommen werden und dann verjähren.
Arbeitsrecht soll nachlässige Arbeitgeber nicht begünstigen
Das grundsätzlich beachtliche Interesse des Arbeitgebers daran, durch gesetzliche Verjährungsfristen innerhalb absehbarer Zeit Rechtssicherheit über etwaige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu erlangen, sei daher in diesem Fall nicht schützenswert. Der Arbeitgeber würde dann nämlich quasi durch seine eigenen Versäumnisse noch belohnt und ungerechtfertigt bereichert. Auch die europarechtlichen Zielsetzungen des Gesundheitsschutzes für Arbeitnehmer würden dann verletzt.
Arbeitsrecht, Urlaub, Verfall & Verjährung – es bleiben Unklarheiten
Trotz dieser Klarstellungen durch das Bundesarbeitsgericht bzw. den EuGH hinsichtlich der Verjährungsthematik bleiben viele praxisrelevante Fragen ungeklärt und dürften zwangsläufig Anlass zu weiteren Rechtsstreitigkeiten bieten. So gibt es bislang keine höchstrichterlichen Vorgaben dafür, wie häufig oder wie konkret ein Arbeitgeber Hinweise auf Resturlaubstage und einen möglichen Verfall von Urlaubsansprüchen erteilen muss.
Für Arbeitgeber gibt es insoweit Handlungs- oder zumindest Beratungsbedarf, um nicht unter Umständen noch Jahre nach der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses hohen finanziellen Forderungen aus Urlaubsabgeltung ausgesetzt zu sein.
Ebenso unklar ist die Frage, ob Arbeitnehmer die neue Rechtsprechung zu Verfall und Verjährung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis nicht auch bei anderen Arbeitnehmerrechten ins Feld führen können. Die weitere Entwicklung im Arbeitsrecht bleibt insoweit abzuwarten.