Was war passiert?
Eine Autofahrerin wollte aus einem Grundstück nach links herausfahren. Durch eine Ampel in der Nähe kam es zu einem Rückstau auf der rechten Spur. Ein Autofahrer in der sich gebildeten Fahrzeugkolonne hielt an und ließ so eine Lücke, um der Fahrerin das Ausfahren zu erleichtern. Die Fahrerin fuhr an, ohne auf den weiteren, hinter dem Autofahrer befindlichen Verkehr zu achten.
Ein etwas hinter dem anhaltenden Wagen stehendes Fahrzeug wechselte zeitgleich auf die vom Rückstau nicht betroffene Linksabbiegerspur. Das Fahrzeug kollidierte mit dem Wagen der Autofahrerin. Bezüglich der Haftung kam es zum Streit und die Angelegenheit landete letzten Endes vor dem OLG.
Die Entscheidung des Gerichts
Das OLG zog ein Sachverständigengutachten aus der ersten Instanz heran. Daraus gingen zwei entscheidende Aspekte hervor: Zum einen fuhr die beklagte Autofahrerin zum Unfallzeitpunkt bereits mit 12 bis 17 km/h. Zum anderen fuhr der klagende Fahrer bereits mit 30 km/h. Um diese Geschwindigkeit zu erreichen, muss er circa 6 m vor der Unfallstelle ausgeschert sein wozu er über die durchgezogene Linie fahren musste, um auf die Linksabbiegerspur zu kommen, die auf Höhe des höflich haltenden Autofahrers erst begann. Das Gericht hatte die Verkehrsverstöße gegen einander abzuwägen.
Die Autofahrerin hätte sich aufgrund ihrer gesteigerten Sorgfaltspflicht und der Vorfahrtsberechtigung der Kolonne vorsichtig in die Lücke hineintasten müssen also Zentimeter für Zentimeter, immer bereit jederzeit zu bremsen. Damit soll erreicht werden, dass einerseits der bevorrechtigte Verkehr genügend Zeit hat, sich auf dieses Eintasten einzurichten und andererseits, dass der Wartepflichtige nahezu ohne Anhalteweg anhalten kann, wenn er einen bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer wahrnimmt (so auch OLG München vom 12.02.2007 Az.: 10 U 5061/06). Bei einer Geschwindigkeit von mindestens 12 km/h sei das jedenfalls nicht der Fall. Umgekehrt hatte der klagende Fahrer die Gegenfahrbahn in Anspruch genommen und ist dadurch erst in die Kollisionsposition gelangt.
Das Gericht kam im Ergebnis zu einer Haftungsteilung. Die Autofahrerin hatte aus Sicht der Richter den Schaden zu 2/3 zu tragen. Der klagende Fahrer blieb somit auf 1/3 der Kosten sitzen bedingt durch seinen eigenen Verstoß.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Auch wenn Ihnen die Vorfahrt durch einen anderen Autofahrer gewährt wird, ist weiterhin Vorsicht geboten. Durch ein vorsichtiges hineintasten können Sie sich und andere vor Schäden bewahren. Da gilt nicht nur für Grundstücksausfahrten sondern auch für alle schlecht einsehbaren Stellen wie Kreuzungsbereiche, an denen Mauern, Hecken oder parkende Fahrzeuge die Sicht behindern. Sollte es dennoch krachen, hilft Im Zweifelsfall juristischer Rat.