Neue Widerrufschancen aufgrund der BGH-Entscheidung vom 22.11.2016 - Stichwort „zuständige Aufsichtsbehörde“
Auf Grundlage einer kürzlich veröffentlichten BGH-Entscheidung (Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.11.2016, Az. XI ZR 434/15) ist nunmehr eine geradezu sensationelle Entwicklung zu Gunsten der Darlehensnehmer mit Neuverträgen im Abschlusszeitraum vom 11.06.2010 bis 21.03.2016 eingetreten, in deren Widerrufsbelehrung der Beginn des Fristenlaufes davon abhängig gemacht wird, dass der Darlehensnehmer über die für die Bank zuständige Aufsichtsbehörde (in der Regel „Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)“ informiert worden ist.
Aufgrund der erwähnten BGH-Entscheidung hängt nämlich jetzt die Frage der Widerrufbarkeit derartiger Darlehensverträge entscheidend davon ab, ob das Kreditinstitut im Rahmen des individuellen Vertrages die zuständige Aufsichtsbehörde mit deren Anschrift tatsächlich genannt hat. Hat die Bank diese Angabe unterlassen, hat dies zur Konsequenz, dass die 14-Tagefrist nicht in Gang gesetzt worden ist und der Darlehensvertrag auch noch zum jetzigen Zeitpunkt im Prinzip ohne Befristung widerrufen werden kann.
Umstritten ist noch die Frage, ob es für die Wirksamkeit der Unterrichtung ausreicht, wenn die Angabe der vermeintlichen Pflichtangabe der zuständigen Aufsichtsbehörde im Rahmen der dem Vertrag (als Anlage) beigefügten Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) oder des „Europäischen Standardisierten Merkblattes„ (ESM) erfolgt (so OLG Frankfurt, Urteil vom 27.02.2017 - 23 U 12/16; OLG Karlsruhe, Urteil v. 14.03.2017 – 17 U 204/15)
Aufgrund der Leitentscheidung des BGH ist jedenfalls mittelfristig mit einer neuen Welle von Widerrufsfällen zu rechnen. Denn insbesondere die Sparkassen haben das entsprechende Formular bundesweit flächendeckend verwandt. In den von meiner Kanzlei geprüften Verträgen konnte bislang in keinem einzigen Fall im Rahmen des eigentlichen Vertragstextes oder der AGB der erforderliche Hinweis auf die zuständige Aufsichtsbehörde aufgefunden werden. Dieser Sachverhalt eröffnet sehr gute Aussichten, mit Unterstützung eines Fachanwaltes mit den betroffenen Kreditinstituten außergerichtliche Verhandlungen mit dem Ziel einer Neukonditionierung derartiger Darlehensverträge aufzunehmen.
Dies gilt bundesweit insbesondere für die Darlehensverträge der Sparkassen, insbesondere der Hamburger Sparkasse aber auch zahlreicher Sparkassen im Hamburger Umland und im norddeutschen Raum wie bspw. der Sparkasse Harburg-Buxtehude, der Sparkasse Hannover sowie der Hannoverschen Volksbank und der PSD-Bank Nord, ferner auch Swiss-Life, BHW-Bausparkasse und R + V Versicherung. Die genannten Institute haben insbesondere in den Jahren 2010 bis 2013 Zehntausende derartiger widerrufbarer Darlehensverträge abgeschlossen.
Einzelne Sparkassen wie etwa die Hamburger Sparkasse unternehmen den untauglichen Versuch, „klammheimlich“ die unterlassene Angabe der Aufsichtsbehörde nachzuholen, indem sie diese Angabe kommentarlos auf Kontoauszügen der Darlehensnehmer platzieren. Dieser Versuch, eine rechtswirksame Nachholung zu fingieren, ist bereits im Ansatz zum Scheitern verurteilt. Denn die Widerrufsfrist wird gem. § 492 Abs. 6, S. 4 BGB nur unter der Voraussetzung in Gang gesetzt, dass gleichzeitig über die in diesen Fällen maßgebliche neue Widerrufsfrist von einem Monat nach Erhalt der nachgeholten Angaben aufgeklärt wird.
Die „zuständige Aufsichtsbehörde“ bei der ING-DiBa
Eine besonders erfolgsträchtige Variante dieser Widerrufsbelehrung beinhalten die im fraglichen Zeitraum von der INGIBA abgeschlossenen Immobiliendarlehensverträge.
Bei der beispielhaften Auflistung von Pflichtangaben, die die Bank gegenüber dem Darlehensnehmer erfüllen muss, damit die Widerrufsfrist zu laufen beginnt, nennt die ING-DiBa unter anderem die „für den Darlehensnehmer zuständige Aufsichtsbehörde“. Unabhängig davon, dass die für den Darlehensnehmer zuständige Aufsichtsbehörde keine Pflichtangabe bei Immobiliendarlehensverträgen darstellt, existiert eine solche für den Darlehensnehmer zuständige Aufsichtsbehörde nicht. Vielmehr gibt es nur eine für die Banken zuständige Aufsichtsbehörde. Somit ist der ING-DiBa die Benennung einer solchen Aufsichtsbehörde, die für den Beginn des Fristlaufs laut Belehrungstext zwingend erforderlich ist, überhaupt nicht möglich. Rechtsfolge: Die Widerrufsfrist für den Darlehensnehmer beginnt zu keinem Zeitpunkt.
Konsequenzen der Grundsatzentscheidungen des BGH vom 12.07.2016 insbesondere für rechtzeitig widerrufene Altverträge
Die nachfolgenden Ausführungen zum aktuellen Stand der Rechtsprechung gelten in erster Linie für noch laufende Verfahren von Altverträgen, bei denen der Widerruf rechtzeitig erklärt worden ist, teilweise auch für jüngere Darlehensverträge mit Abschlusszeitpunkt ab dem 11.06.2010.
Verwirkung/unzulässige Rechtsausübung nur in Ausnahmefällen
Die lange erwartete Klärung dieser Streitfrage ist mit zwei Urteilen des BGH vom 12.07.2016 (XI ZR 501/15; XI ZR 564/15) erfolgt. Quintessenz: den Banken wird mit ihrer flächendeckenden Berufung auf den Eintritt der Verwirkung bzw. die Rechtsfigur der unzulässigen Rechtsausübung im Regelfall kein Erfolg mehr vor den Gerichten beschieden sein. Der Anwendungsbereich dieser Rechtsinstitute beschränkt sich laut BGH vielmehr auf atypische Ausnahmefälle, deren Voraussetzungen bei Standardkonstellationen des Widerrufes von Darlehensverträgen nicht vorliegen. Die bislang abweichende Rechtsprechung einiger, insbesondere norddeutscher, Oberlandesgerichte ist mit den BGH-Urteilen zur Makulatur erklärt worden. Die wirtschaftlichen Motive des Darlehensnehmers bei der Ausübung des Widerrufs, der Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Widerruf oder die jahrlange anstandslose Bedienung des Kredites - alle diese von den Banken ins Feld geführten Argumente spielen zukünftig keine Rolle mehr für die rechtliche Beurteilung. Lediglich beim Widerruf bereits beendeter Darlehensverträge kommt der Verwirkungseinwand gelegentlich zur Geltung.
Fußnote “Frist im Einzelfall prüfen„ irreführend
Dasselbe gilt für die bislang umstrittene rechtliche Bewertung der insbesondere von den Sparkassen in ihren Widerrufsbelehrungen verwendeten Fußnote “Bitte Frist im Einzelfall prüfen!„ Zu dieser Frage waren bereits zuvor zahlreiche Urteile auch von Oberlandesgerichten zu Gunsten der Darlehensnehmer ergangen. Die Gerichte haben diese Fußnote zunehmend als fehlerhaft eingestuft bzw. im Falle ihrer Benutzung den Banken die Berufung auf die Schutzwirkung der Musterbelehrung versagt
Der BGH hat sich in der erwähnten Entscheidung vom 12.07.2016 – IX ZR 564/15 - nunmehr eindeutig positioniert. Durch den Zusatz einer Fußnote mit dem Fußnoten¬text „Bitte Frist im Einzel¬fall prüfen“ vermittle die Belehrung (...) den Eindruck, die Länge der Frist könne je nach den (...) Umständen des Einzelfalls variieren und es sei Aufgabe des Verbrauchers, die in seinem Fall geltende Frist selbst festzustellen.
Das BGH-Urteil erlaubt es nun auch Darlehensnehmern aus Altfällen im Zuständigkeitsbereich des Schleswig-Holsteinischen OLG, des OLG Hamburg sowie des OLG Bamberg, die ihren Widerruf fristgerecht erklärt hatten, aber angesichts der bankenfreundlichen Rechtsprechung dieser Gerichte sowohl in der Fußnoten- als auch der Verwirkungsfrage und/oder wegen der finanziellen Risiken einer gerichtlichen Auseinandersetzung die Sache nicht weiter verfolgt hatten, das Widerrufsverfahren wieder aufnehmen. Die betroffenen Banken lassen sich in derartigen Altfällen in aller Regel auf Vergleiche ein, die eine (rückwirkende) Zinssatzanpassung vorsehen.
Reichweite der Schutzwirkung der Musterbelehrung
Der BGH hat bei dieser Gelegenheit zugleich den Banken weitgehend die Möglichkeit genommen, sich trotz fehlerhafter Belehrung auf die Schutzwirkung der amtlichen Musterbelehrung berufen zu können.
Ergänzungen und Zusätze, die wie die Fußnote „Frist im Einzelfall prüfen“ geeignet sind Verbraucher zu verwirren, stellen eine inhaltliche Bearbeitung dar und führen dazu, dass die Belehrung nicht ordnungsgemäß ist. Für zulässige Änderungen hält der Bundesgerichtshof lediglich
- das Einrücken oder Zentrieren von Überschriften
- der Verzicht auf eine Einrahmung oder deren individuelle Gestaltung
- die Zuordnung der Belehrung zu einem konkreten Verbrauchervertrag
- der Austausch von Begriffen aus dem Muster durch Synonyme (soweit darunter die Verständlichkeit nicht leidet) und
- die Bezeichnung des Unternehmers in der Belehrung durch „wir“ statt „er“.
Fußnote „Nicht für Fernabsatzgeschäfte“ nicht irreführend
Durch zwei kürzlich veröffentlichte Entscheidungen vom 27.09.2016 (BGH XI ZR 309/15, IX ZR 99/16) allerdings hat der BGH überraschenderweise geurteilt, dass die Verwendung des Fußnotenhinweises „Nicht für Fernabsatzgeschäfte“ zwar eine Abweichung von der amtlichen Musterbelehrung darstelle, nicht jedoch die Unwirksamkeit der erteilten Widerrufsbelehrung zur Folge habe.
Ankreuzoptionsmodell zulässig
Des Weiteren hatte der BGH bereits in seiner Entscheidung vom 23.03.2016 das sog. Ankreuzoptionsmodell für zulässig erklärt. Zugleich hat der BGH dort festgestellt, dass es für jüngere Darlehensverträge mit Abschlusszeitpunkt seit 11.06.2010 anders als bei Verträgen vor diesem Zeitpunkt nicht erforderlich ist, dass die Widerrufsbelehrung optisch vom übrigen Vertragstext abgesetzt ist. Auf diese rechtlichen Gesichtspunkte also kann fortan ein Widerruf nicht mehr gestützt werden.
BGH-Entscheidung vom 21.02.2017 zu sog. Präsenzgeschäften
Betr. Fristlaufklausel: „Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag nachdem Ihnen - ein Exemplar dieser Widerrufsbelehrung und - die Vertragsurkunde, der schriftliche Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Vertragsantrags zur Verfügung gestellt wurden.“
Gemäß einem Urteil des BGH (Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.02.2017, Az. XI ZR 381/16) kommt es entgegen der von den Banken und einer Reihe unterinstanzlicher Entscheidungen vertretenen Auffassung auf die Begleitumstände des Vertragsabschlusses, insbesondere ob ein sogenanntes Präsenzgeschäft vorliegt, nicht an. Entscheidend ist allein, ob die Widerrufserklärung objektiv missverständlich formuliert worden ist.
Gegenstandswert bei Klagen auf Feststellung der Wirksamkeit des Widerrufs
Als Gegenstandswert ist gemäß der Entscheidung des BGH vom 12.01.2016 (XI ZR 366/15) zum Streitwert in sogen. Widerrufsfällen die Summe der vom Darlehensnehmer bis zur Erklärung des Widerrufs erbrachten Leistungen auf den Darlehensvertrag (Zins + Tilgung) zugrunde zu legen. Bislang hatten sich die meisten Gerichte an der Restdarlehenshöhe orientiert. Durch die neue Rechtsprechung zum Streitwert ist in der Regel eine Reduzierung des maßgeblichen Gegenstandswertes um ca. 2/3 eingetreten und hat sich damit das Prozesskostenrisiko der Darlehensnehmer erheblich verringert.
Erfahrungsberichte/Verhandlungsstrategien der Banken
Im Falle einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung bestehen nach unseren Erfahrungen erhöhte Chancen, mit anwaltlicher Unterstützung mit folgenden Banken zu einer außergerichtlichen Vereinbarung zu gelangen: PSD Rhein-Neckar-Saar, Sparda-Bank Baden-Württemberg, INGDIBA, Münchener Bank, BB-Bank, seit einigen Monaten auch mit der Hamburger Sparkasse. Die WL-Bank präsentiert anwaltlich vertretenen Darlehensnehmern zunächst nicht akzeptable Vergleichsangebote, pflegt aber im Laufe der Verhandlungen einzulenken. Andere Banken hingegen wie Deutsche Bank, Commerzbank, DKB und DSL und eine Reihe von Sparkassen lassen es durchgängig auf einen Prozess ankommen, für den man angesichts der finanziellen Risiken eines Rechtsstreits über eine eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung verfügen sollte.
Die INGDIBA unterbreitet seit einiger Zeit ebenso wie die DSL-Bank betroffenen Darlehensnehmern als sogen. Vergleichsangebot eine „Mogelpackung“ durch die Kombination eines Zinssatzes von 2,0 bis 2,5 % p. a. bei 10-jähriger Zinsbindung. Auf derartige Angebote, die darauf hinauslaufen, dass die Darlehensnehmer schlechter gestellt werden als bei Abschluss eines Forwarddarlehensvertrages auf Basis des aktuellen Zinsniveaus, sollte man keineswegs eingehen sondern versuchen mit anwaltlicher Hilfe die Banken unter Androhung einer Klage zum Einlenken zu bewegen. Dies ist durchaus erfolgversprechend, da die von diesen Banken erteilten Widerrufsbelehrungen durchweg eklatante rechtliche Mängel aufweisen. Hier ist zu beobachten, dass die INGDIBA vor dem Hintergrund der BGH-Urteile vom 12.07.2016 im höheren Maße als bereits bislang Vergleichsbereitschaft zeigt. Auch hier gilt freilich, dass sich derartige Verhandlungserfolge in aller Regel nur durch die Einschaltung eines versierten Anwaltes erreichen lassen.