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Bankrecht und Kapitalanlagenrecht | 03.04.2017

Widerrufs­joker

Neue Widerrufs­perspektiven - Fort­bestehen des Widerrufs­rechtes für Darlehens­verträge ab 11.06.2010

Aktueller Stand von Gesetz­gebung und Rechtsprechung zum „Widerrufs­joker“ (Stand 01.04.2017)

Fachbeitrag von Rechtsanwalt Dr. Albert Krölls

Das Widerrufs­recht für Alt­verträge, die im Zeitraum von 2002 bis zum 10.06.2010 abgeschlossen wurden, ist am 21.06.2016 erloschen. Darlehens­verträge mit Abschluss­zeitpunkt im Zeitraum vom 11.06.2010 bis 21.03.2016 werden hingegen von der gesetzlichen Neuregelung nicht erfasst. Für diese Verträge gilt deshalb weiterhin ein im Prinzip „ewiges“ Widerrufs­recht. (Verträge, die ab dem 21. März 2016 geschlossen wurden, können maximal 1 Jahr und 14 Tage widerrufen werden.)

Neue Widerrufschancen aufgrund der BGH-Entscheidung vom 22.11.2016 - Stichwort „zuständige Aufsichtsbehörde“

Auf Grundlage einer kürzlich veröffentlichten BGH-Entscheidung (Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.11.2016, Az. XI ZR 434/15) ist nunmehr eine geradezu sensationelle Entwicklung zu Gunsten der Darlehens­nehmer mit Neu­verträgen im Abschluss­zeitraum vom 11.06.2010 bis 21.03.2016 eingetreten, in deren Widerrufs­belehrung der Beginn des Fristen­laufes davon abhängig gemacht wird, dass der Darlehens­nehmer über die für die Bank zuständige Aufsichts­behörde (in der Regel „Bundes­anstalt für Finanzd­ienstleistungs­aufsicht (BaFin)“ informiert worden ist.

Aufgrund der erwähnten BGH-Entscheidung hängt nämlich jetzt die Frage der Widerruf­barkeit derartiger Darlehens­verträge entscheidend davon ab, ob das Kredit­institut im Rahmen des individuellen Vertrages die zuständige Aufsichts­behörde mit deren Anschrift tatsächlich genannt hat. Hat die Bank diese Angabe unterlassen, hat dies zur Konsequenz, dass die 14-Tagefrist nicht in Gang gesetzt worden ist und der Darlehens­vertrag auch noch zum jetzigen Zeitpunkt im Prinzip ohne Befristung widerrufen werden kann.

Umstritten ist noch die Frage, ob es für die Wirksamkeit der Unterrichtung ausreicht, wenn die Angabe der vermeintlichen Pflicht­angabe der zuständigen Aufsichts­behörde im Rahmen der dem Vertrag (als Anlage) beigefügten Allgemeinen Geschäfts­bedingungen (AGBs) oder des „Europäischen Standardisierten Merkblattes„ (ESM) erfolgt (so OLG Frankfurt, Urteil vom 27.02.2017 - 23 U 12/16; OLG Karlsruhe, Urteil v. 14.03.2017 – 17 U 204/15)

Aufgrund der Leit­entscheidung des BGH ist jedenfalls mittelfristig mit einer neuen Welle von Widerrufs­fällen zu rechnen. Denn insbesondere die Sparkassen haben das entsprechende Formular bundesweit flächend­eckend verwandt. In den von meiner Kanzlei geprüften Verträgen konnte bislang in keinem einzigen Fall im Rahmen des eigentlichen Vertrags­textes oder der AGB der erforderliche Hinweis auf die zuständige Aufsichts­behörde aufgefunden werden. Dieser Sachverhalt eröffnet sehr gute Aussichten, mit Unterstützung eines Fach­anwaltes mit den betroffenen Kredit­instituten außergerichtliche Verhandlungen mit dem Ziel einer Neu­konditionierung derartiger Darlehens­verträge aufzunehmen.

Dies gilt bundesweit insbesondere für die Darlehens­verträge der Sparkassen, insbesondere der Hamburger Sparkasse aber auch zahlreicher Sparkassen im Hamburger Umland und im nord­deutschen Raum wie bspw. der Sparkasse Harburg-Buxtehude, der Sparkasse Hannover sowie der Hannoverschen Volksbank und der PSD-Bank Nord, ferner auch Swiss-Life, BHW-Bau­sparkasse und R + V Versicherung. Die genannten Institute haben insbesondere in den Jahren 2010 bis 2013 Zehn­tausende derartiger widerruf­barer Darlehens­verträge abgeschlossen.

Einzelne Sparkassen wie etwa die Hamburger Sparkasse unternehmen den untauglichen Versuch, „klamm­heimlich“ die unterlassene Angabe der Aufsichts­behörde nachzuholen, indem sie diese Angabe kommentar­los auf Konto­auszügen der Darlehens­nehmer platzieren. Dieser Versuch, eine rechts­wirksame Nachholung zu fingieren, ist bereits im Ansatz zum Scheitern verurteilt. Denn die Wider­rufs­frist wird gem. § 492 Abs. 6, S. 4 BGB nur unter der Voraussetzung in Gang gesetzt, dass gleich­zeitig über die in diesen Fällen maßgebliche neue Wider­rufs­frist von einem Monat nach Erhalt der nach­geholten Angaben aufgeklärt wird.

Die „zuständige Aufsichtsbehörde“ bei der ING-DiBa

Eine besonders erfolgs­trächtige Variante dieser Widerrufs­belehrung beinhalten die im fraglichen Zeitraum von der INGIBA abgeschlossenen Immobilien­darlehens­verträge.

Bei der beispielhaften Auflistung von Pflicht­angaben, die die Bank gegenüber dem Darlehens­nehmer erfüllen muss, damit die Wider­rufs­frist zu laufen beginnt, nennt die ING-DiBa unter anderem die „für den Darlehens­nehmer zuständige Aufsichts­behörde“. Unabhängig davon, dass die für den Darlehens­nehmer zuständige Aufsichts­behörde keine Pflicht­angabe bei Immobilien­darlehens­verträgen darstellt, existiert eine solche für den Darlehens­nehmer zuständige Aufsichts­behörde nicht. Vielmehr gibt es nur eine für die Banken zuständige Aufsichts­behörde. Somit ist der ING-DiBa die Benennung einer solchen Aufsichts­behörde, die für den Beginn des Fristlaufs laut Belehrungs­text zwingend erforderlich ist, überhaupt nicht möglich. Rechtsfolge: Die Wider­rufs­frist für den Darlehens­nehmer beginnt zu keinem Zeitpunkt.

Konsequenzen der Grundsatzentscheidungen des BGH vom 12.07.2016 insbesondere für rechtzeitig widerrufene Altverträge

Die nachfolgenden Ausführungen zum aktuellen Stand der Rechtsprechung gelten in erster Linie für noch laufende Verfahren von Alt­verträgen, bei denen der Widerruf rechtzeitig erklärt worden ist, teilweise auch für jüngere Darlehens­verträge mit Abschluss­zeitpunkt ab dem 11.06.2010.

Verwirkung/unzulässige Rechtsausübung nur in Ausnahmefällen

Die lange erwartete Klärung dieser Streitfrage ist mit zwei Urteilen des BGH vom 12.07.2016 (XI ZR 501/15; XI ZR 564/15) erfolgt. Quintessenz: den Banken wird mit ihrer flächendeckenden Berufung auf den Eintritt der Verwirkung bzw. die Rechtsfigur der unzulässigen Rechts­ausübung im Regelfall kein Erfolg mehr vor den Gerichten beschieden sein. Der Anwendungs­bereich dieser Rechts­institute beschränkt sich laut BGH vielmehr auf atypische Ausnahme­fälle, deren Voraus­setzungen bei Standard­konstellationen des Widerrufes von Darlehens­verträgen nicht vorliegen. Die bislang abweichende Rechtsprechung einiger, insbesondere nord­deutscher, Oberlandes­gerichte ist mit den BGH-Urteilen zur Makulatur erklärt worden. Die wirtschaftlichen Motive des Darlehens­nehmers bei der Ausübung des Widerrufs, der Zeitraum zwischen Vertrags­schluss und Widerruf oder die jahrlange anstandslose Bedienung des Kredites - alle diese von den Banken ins Feld geführten Argumente spielen zukünftig keine Rolle mehr für die rechtliche Beurteilung. Lediglich beim Widerruf bereits beendeter Darlehens­verträge kommt der Verwirkungs­einwand gelegentlich zur Geltung.

Fußnote “Frist im Einzelfall prüfen„ irreführend

Dasselbe gilt für die bislang umstrittene rechtliche Bewertung der insbesondere von den Sparkassen in ihren Widerrufs­belehrungen verwendeten Fußnote “Bitte Frist im Einzelfall prüfen!„ Zu dieser Frage waren bereits zuvor zahlreiche Urteile auch von Ober­landes­gerichten zu Gunsten der Darlehens­nehmer ergangen. Die Gerichte haben diese Fußnote zunehmend als fehlerhaft eingestuft bzw. im Falle ihrer Benutzung den Banken die Berufung auf die Schutz­wirkung der Muster­belehrung versagt

Der BGH hat sich in der erwähnten Entscheidung vom 12.07.2016 – IX ZR 564/15 - nunmehr eindeutig positioniert. Durch den Zusatz einer Fußnote mit dem Fußnoten¬text „Bitte Frist im Einzel¬fall prüfen“ vermittle die Belehrung (...) den Eindruck, die Länge der Frist könne je nach den (...) Umständen des Einzelfalls variieren und es sei Aufgabe des Verbrauchers, die in seinem Fall geltende Frist selbst fest­zustellen.

Das BGH-Urteil erlaubt es nun auch Darlehens­nehmern aus Altfällen im Zuständigkeitsb­ereich des Schleswig-Holsteinischen OLG, des OLG Hamburg sowie des OLG Bamberg, die ihren Widerruf frist­gerecht erklärt hatten, aber angesichts der banken­freundlichen Rechtsprechung dieser Gerichte sowohl in der Fußnoten- als auch der Verwirkungs­frage und/oder wegen der finanziellen Risiken einer gerichtlichen Auseinander­setzung die Sache nicht weiter verfolgt hatten, das Widerrufs­verfahren wieder aufnehmen. Die betroffenen Banken lassen sich in derartigen Altfällen in aller Regel auf Vergleiche ein, die eine (rückwirkende) Zinssatz­anpassung vorsehen.

Reichweite der Schutzwirkung der Musterbelehrung

Der BGH hat bei dieser Gelegenheit zugleich den Banken weitgehend die Möglichkeit genommen, sich trotz fehlerhafter Belehrung auf die Schutz­wirkung der amtlichen Muster­belehrung berufen zu können.

Ergänzungen und Zusätze, die wie die Fußnote „Frist im Einzelfall prüfen“ geeignet sind Verbraucher zu verwirren, stellen eine inhaltliche Bearbeitung dar und führen dazu, dass die Belehrung nicht ordnungs­gemäß ist. Für zulässige Änderungen hält der Bundes­gerichts­hof lediglich

  • das Einrücken oder Zentrieren von Über­schriften
  • der Verzicht auf eine Einrahmung oder deren individuelle Gestaltung
  • die Zuordnung der Belehrung zu einem konkreten Verbraucher­vertrag
  • der Austausch von Begriffen aus dem Muster durch Synonyme (soweit darunter die Verständlichkeit nicht leidet) und
  • die Bezeichnung des Unter­nehmers in der Belehrung durch „wir“ statt „er“.

Fußnote „Nicht für Fernabsatzgeschäfte“ nicht irreführend

Durch zwei kürzlich veröffentlichte Entscheidungen vom 27.09.2016 (BGH XI ZR 309/15, IX ZR 99/16) allerdings hat der BGH überraschender­weise geurteilt, dass die Verwendung des Fußnoten­hinweises „Nicht für Fern­absatz­geschäfte“ zwar eine Abweichung von der amtlichen Muster­belehrung darstelle, nicht jedoch die Unwirksamkeit der erteilten Widerrufs­belehrung zur Folge habe.

Ankreuzoptionsmodell zulässig

Des Weiteren hatte der BGH bereits in seiner Entscheidung vom 23.03.2016 das sog. Ankreuz­options­modell für zulässig erklärt. Zugleich hat der BGH dort fest­gestellt, dass es für jüngere Darlehens­verträge mit Abschluss­zeitpunkt seit 11.06.2010 anders als bei Verträgen vor diesem Zeitpunkt nicht erforderlich ist, dass die Widerrufs­belehrung optisch vom übrigen Vertrags­text abgesetzt ist. Auf diese rechtlichen Gesichts­punkte also kann fortan ein Widerruf nicht mehr gestützt werden.

BGH-Entscheidung vom 21.02.2017 zu sog. Präsenzgeschäften

Betr. Fristlauf­klausel: „Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag nachdem Ihnen - ein Exemplar dieser Widerrufs­belehrung und - die Vertrags­urkunde, der schrift­liche Vertrags­antrag oder eine Abschrift der Vertrags­urkunde oder des Vertrags­antrags zur Verfügung gestellt wurden.“

Gemäß einem Urteil des BGH (Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.02.2017, Az. XI ZR 381/16) kommt es entgegen der von den Banken und einer Reihe unterinstanzlicher Entscheidungen vertretenen Auffassung auf die Begleit­umstände des Vertrags­abschlusses, insbesondere ob ein sogenanntes Präsenz­geschäft vorliegt, nicht an. Entscheidend ist allein, ob die Widerrufs­erklärung objektiv missverständlich formuliert worden ist.

Gegenstandswert bei Klagen auf Feststellung der Wirksamkeit des Widerrufs

Als Gegenstands­wert ist gemäß der Entscheidung des BGH vom 12.01.2016 (XI ZR 366/15) zum Streitwert in sogen. Widerrufs­fällen die Summe der vom Darlehens­nehmer bis zur Erklärung des Widerrufs erbrachten Leistungen auf den Darlehens­vertrag (Zins + Tilgung) zugrunde zu legen. Bislang hatten sich die meisten Gerichte an der Rest­darlehens­höhe orientiert. Durch die neue Rechtsprechung zum Streitwert ist in der Regel eine Reduzierung des maßgeblichen Gegenstands­wertes um ca. 2/3 eingetreten und hat sich damit das Prozess­kosten­risiko der Darlehens­nehmer erheblich verringert.

Erfahrungsberichte/Verhandlungsstrategien der Banken

Im Falle einer fehler­haften Widerrufs­belehrung bestehen nach unseren Erfahrungen erhöhte Chancen, mit anwaltlicher Unterstützung mit folgenden Banken zu einer außergerichtlichen Vereinbarung zu gelangen: PSD Rhein-Neckar-Saar, Sparda-Bank Baden-Württemberg, INGDIBA, Münchener Bank, BB-Bank, seit einigen Monaten auch mit der Hamburger Sparkasse. Die WL-Bank präsentiert anwaltlich vertretenen Darlehens­nehmern zunächst nicht akzeptable Vergleichs­angebote, pflegt aber im Laufe der Verhandlungen einzulenken. Andere Banken hingegen wie Deutsche Bank, Commerzbank, DKB und DSL und eine Reihe von Sparkassen lassen es durchgängig auf einen Prozess ankommen, für den man angesichts der finanziellen Risiken eines Rechts­streits über eine eintritts­pflichtige Rechts­schutz­versicherung verfügen sollte.

Die INGDIBA unterbreitet seit einiger Zeit ebenso wie die DSL-Bank betroffenen Darlehens­nehmern als sogen. Vergleichs­angebot eine „Mogel­packung“ durch die Kombination eines Zinssatzes von 2,0 bis 2,5 % p. a. bei 10-jähriger Zinsbindung. Auf derartige Angebote, die darauf hinaus­laufen, dass die Darlehens­nehmer schlechter gestellt werden als bei Abschluss eines Forward­darlehens­vertrages auf Basis des aktuellen Zinsniveaus, sollte man keineswegs eingehen sondern versuchen mit anwaltlicher Hilfe die Banken unter Androhung einer Klage zum Einlenken zu bewegen. Dies ist durchaus erfolgversprechend, da die von diesen Banken erteilten Widerrufs­belehrungen durchweg eklatante rechtliche Mängel aufweisen. Hier ist zu beobachten, dass die INGDIBA vor dem Hintergrund der BGH-Urteile vom 12.07.2016 im höheren Maße als bereits bislang Vergleichs­bereitschaft zeigt. Auch hier gilt freilich, dass sich derartige Verhandlungs­erfolge in aller Regel nur durch die Einschaltung eines versierten Anwaltes erreichen lassen.

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