Als derjenige, der zahlreiche Geschädigte des VW-Konzerns vertritt, stehe ich der durch das Musterklageverfahren möglichen Gesetzesänderung (vor allem im Bereich der Zivilprozessordnung) aus zahlreichen Gründen äußerst kritisch gegenüber – warum, will ich gerne erläutern:
Verbraucherschutzorganisationen haben Klage-Monopol
Der Gesetzgeber wollte ein Instrument schaffen, bei dem viele in gleicher Weise geschädigte Verbraucher (!!!) einen Anspruch auf Schadensersatz feststellen lassen können, ohne dass es der Einleitung eines Gerichtsverfahrens durch jeden einzelnen Geschädigten bedarf.
Stattdessen soll der Musterrechtsstreit durch Verbraucherschutzorganisationen geführt werden.
Diejenigen Verbraucher, die sich im jeweiligen Verfahren anmelden, tragen keinerlei Prozesskostenrisiko und können zum Beispiel als Zeugen vernommen werden.
Ein zur Klage befugter Verband muss vor Beginn eines Musterrechtsstreits die Fälle von mindestens 10 Betroffenen akribisch prüfen und auf dieser Basis eine Klage einreichen.
Beteiligung nur mit Registrierung im Klageregister möglich
Sodann müssen sich innerhalb von zwei Monaten insgesamt 50 betroffene Verbraucher bei einem sogenannten „Klageregister“ anmelden – ein solches wird beim Bundesamt für Justiz (nicht zu verwechseln mit dem Bundesministerium für Justiz) geführt.
Mit der Anmeldung im Klageregister wird die Verjährung von Schadensersatzansprüchen gehemmt. Die Anmeldung kann übrigens ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts erfolgen.
Durch die Eingangsvoraussetzungen, die Verbraucherschutzverbände erfüllen müssen, wurde beispielsweise die Deutsche Umwelthilfe von derartigen Verfahren ausgeschlossen.
Vergegenwärtigt man sich jedoch, was in einem Musterverfahren eigentlich entschieden wird, stellt man sehr schnell fest, dass dies „lediglich die halbe Miete ist“. Entschieden wird nämlich nur darüber, ob ein Verbraucher Schadensersatz fordern kann oder nicht.
Mit dieser Feststellung ist ihm im Zweifelsfall jedoch nicht gedient, da er (so er überhaupt im Musterverfahren siegte) seinen Anspruch der Höhe nach sodann erneut (und vermutlich in Sachen VW wiederum gerichtlich) geltend machen muss.
Die Musterklage – und dies muss in aller Deutlichkeit festgestellt werden – bringt dem geschädigten Verbraucher also keinerlei Geld!
Es gibt also auch keinerlei vollstreckbaren und auf Zahlung von Geld gerichteten Titel!
Wer tatsächlich gewonnen hat, muss auf eigene Kosten und eigenes Risiko seinen persönlichen Schaden (notfalls im Rahmen einer weiteren Klage) durchsetzen.
Verfahren führt zu keinen direkten Konsequenzen im Sinne der Kläger
Liest man einmal den Gesetzestext, stellt man unschwer fest, dass hier versucht wurde, möglichst schnell, jedoch keinesfalls möglichst gründlich zu arbeiten.
Experten äußern schon jetzt zu Recht Zweifel daran, ob beispielsweise in Verfahren gegen VW die Musterklage überhaupt das richtige Instrument ist – sie führt nämlich – wie ich bereits darstellte – bei sogenannten „Streu- oder Massenschäden“ gerade nicht zu sofort greifbaren Konsequenzen nach Verfahrensbeendigung.
Auch besteht ein Haftungsrisiko für die klagenden Verbände – für die Verbraucherzentrale/den Bundesverband soll es offensichtlich abgefangen werden.
Was ist, so Verbraucher sich von klagenden Verbänden nicht korrekt vertreten fühlen – dürfen sie dann Ansprüche aus der fehlerhaften Vertretung vor Gericht gegenüber den Verbänden geltend machen?
Dieser und zahlreiche andere Punkte sind noch nicht geklärt.
Unternehmer vom Musterverfahren ausgeschlossen
Auch muss nochmals ausdrücklich betont werden, dass das Musterklageverfahren ausschließlich für Verbraucher gilt – wer im Falle VW das Fahrzeug als Unternehmer erwarb, kann sich der Musterklage nicht anschließen.
Jedoch erhält er die Möglichkeit, einen Prozess, den er bereits wegen Schadenersatzes führt, auf seinen eigenen Antrag hin unterbrechen zu lassen, bis ein Urteil im entsprechenden Musterprozess vorliegt.
Das Musterurteil hat, wenn es dann je ergeht, für einen Unternehmern jedoch keine Bindungswirkung- man geht jedoch davon aus, dass ein Gericht bei gleichem Sachverhalt ein Musterurteil berücksichtigt.
Registrierte Verbraucher können nicht zugleich individuell klagen
Wer jetzt schon als Verbraucher gegen VW prozessiert, tut sich mit der Musterfeststellungsklage keinen Gefallen, da sein von ihm selbst angestrengtes Gerichtsverfahren, sobald er sich ins Musterklagenregister eintragen lässt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Erledigung der Musterfeststellungsklage ausgesetzt wird.
Wer noch keine eigene Klage gegen VW erhob, kann dies, wenn er sich für die Musterklage registrierte, auch nicht mehr tun!
Auch wird offensichtlich vergessen, dass die von der Verbraucherzentrale und dem ADAC beworbene Musterfeststellungsklage lediglich Fahrzeuge von VW, Audi, Skoda, und Seat umfasst, die mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgerüstet sind.
Wie lange das 2-stufige Musterklageverfahren dauert, ist schlecht abzuschätzen – es beginnt beim Oberlandesgericht und wird (unabhängig davon, wie die erste Instanz entscheidet) wohl definitiv beim BGH „aufschlagen“.
Jeder, der an diesem Verfahren teilnimmt, trägt also während der gesamten Verfahrensdauer das Risiko, dass sein Fahrzeug täglich mehr und mehr Kilometer sammelt und eventuell einen Unfall erleidet.
Direktes Individualverfahren bleibt weiterhin das vorteilhafteste Mittel für Betroffene
Für mich – und ich sage dies in aller Deutlichkeit – ist das Musterverfahren nichts als eine „Mogelpackung“, die der Gesetzgeber, erneut die Unternehmen schützend, viel zu schnell auf den Weg brachte, um damit getäuschte Verbraucher zu beruhigen.
Das deutsche Recht sieht (und Tag für Tag ergehen mehr Urteile, die Geschädigten günstig sind) andere Möglichkeiten vor, die jeder Einzelne (ob Verbraucher oder Unternehmer) nutzen kann, um seine Rechte selbst durchzusetzen – ich kann nur empfehlen, diese Wege zu wählen.