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Arbeitsrecht und EU-Recht | 15.05.2020

Anerkennung der Berufs­erfahrung

Muss einschlägige Berufs­erfahrung bei der tarif­rechtlichen Stufen­zuordnung voll berücksichtigt werden?

Laut EuGH verstößt eine beschränkte Anerkennung der Berufs­erfahrung bei gleichwertigen Vordienst­zeiten im EU-Ausland gegen die Arbeit­nehmer­freizügigkeit

Muss die einschlägige Erfahrung einer Lehrkraft in einem anderen Staat der EU bei der Stufen­zuordnung im Rahmen der Einstellung im öffentlichen Dienst in Deutschland vollständig anerkannt werden (vgl. § 16 Abs. 2 TV-L oder § 16 Abs. 2 TVöD)?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat hierzu mit dem Urteil vom 23.4.2020 (Az.: C – 710/18, juris) entschieden, dass die tarif­vertragliche Regelung in § 16 Abs. 2 TV-L gegen die Vorschriften der Arbeit­nehmer­freizügigkeit (vgl. Art. 45 Abs. 1 AEUV) verstößt.

Sachverhalt und Verfahrensgang

Dem Urteil liegt die Klage einer Lehrerin zu Grunde, die beim Land Nieder­sachsen angestellt war und zuvor 17 Jahre in Frankreich unterrichtet hatte. Dieser wurde bei der Einstellung in Nieder­sachsen gem. § 16 Abs. 2 TV-L lediglich Berufs­erfahrung von drei Jahren anerkannt. Die übrige Berufs­erfahrung blieb unberücksichtigt.

Das Land Nieder­sachsen begründete das damit, dass eine vollständige Anrechnung nach der Tarif­vorschrift nur bei ent­sprechender Berufs­erfahrung zum selben Arbeitgeber möglich gewesen wäre. Bei anderen Arbeit­gebern erfolge höchstens die Anrechnung von drei Jahren (vgl. § 16 Abs. 2 TV-L).

Im Rahmen der vor dem ArbG erhobenen Klage rügte die Klägerin u.a. eine sachlich nicht gerecht­fertigte Ungleich­behandlung und einen Verstoß gegen die Arbeit­nehmer­freizügigkeit.

Das ArbG gab der Klage statt. Nach Berufung des Landes Nieder­sachsen hob das LarbG das Urteil auf und lehnte die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hat das BAG den EuGH im Zuge der Vorab­entscheidung zu der Frage des Verstoßes gegen die EU-Arbeit­nehmer­freizügigkeit (Art. 45 Abs. 1 AEUV) angerufen.

Entscheidung des EuGHs

Da die Behörden die Berufs­erfahrung der Lehrerin in Frankreich als im Wesentlichen gleichwertig bewertet und anerkannt hatten, könne eine Regelung, welche die gleichwertigen Vordienst­zeiten im EU-Ausland nicht vollständig berücksichtige, den Wechsel in ein anderes Land unattraktiver machen. Daher beeinträchtige die Tarif­vorschrift unzulässig die Arbeit­nehmer­freizügigkeit innerhalb der EU gem. Art. 45 Abs. 1 AEUV.

Die niedrigere Einstufung in Nieder­sachsen halte Arbeit­nehmer vom Wechsel innerhalb der Mitglied­staaten ab. Die vom beklagten Land (und auch im Vorlage­beschluss durch das BAG) angebrachten (etwaigen) Recht­fertigungs­gründe – z.B. die Sicherstellung der Gleich­behandlung von befristet und unbefristet Beschäftigten oder die Bindung der Arbeit­nehmer an ihren Arbeitgeber – griffen nicht.

Bewertung

Die Entscheidung des EuGHs ist für den öffentlichen Dienst in Deutschland sehr bedeutsam. Schließlich existieren weitgehend identische Bestimmungen neben § 16 TV-L z.B. auch in § 16 Abs. 2 TVöD. Solche Tarif­vorschriften sind nach dem hier besprochenen Urteil des EuGH gemeinschafts­rechtswidrig und daher auch von den Arbeits­gerichten bei Klagen im Hinblick auf die korrekte Stufen­zuordnung grds. nicht mehr anwendbar.

In dem noch immer laufenden Revisions­verfahren wird das BAG daher ebenfalls nicht mehr auf die Differenzierung der Vordienst­zeiten beim selben oder anderen Arbeitgeber (vgl. § 16 Abs. 2 TV-L) zurück­greifen können. Das wiederum dürfte dazu führen, dass hier sämtliche einschlägige Berufs­erfahrung vollständig anerkannt/angerechnet wird, also die höchste Stufe der Entgelt­gruppe zugesprochen wird.

Weiterhin ist zu erwarten, dass die Tarif­parteien die gemeinschafts­rechtswidrigen Bestimmungen zur Stufen­zuordnung im öffentlichen Dienst zeitnah anpassen müssen und anpassen werden. Zumal sich nun weitere (erhebliche) Ungleich­behandlungen im Hinblick auf gleichwertige Beschäftigungsz­eiten bei anderen Arbeit­gebern auch innerhalb Deutschlands ergeben.

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