Was war geschehen?
Ein Stuttgarter Richter informierte das Landesjustizministerium Baden-Württemberg darüber, dass seiner Meinung nach bei Novellierung der Straßenverkehrsordnung im Jahr 2013 das sogenannte „Zitiergebot“ verletzt worden sei.
Das Landesjustizministerium informierte das baden-württembergische Verkehrsministerium – dieses leitete die Anfrage an das Bundesverkehrsministerium weiter.
Wie ich bereits in einer meiner vorherigen Kolumnen zur Gültigkeit der aktuellen Bußgeldkatalogverordnung ausführte, muss das in Artikel 80 Grundgesetz genannte Zitiergebot stets beachtet werden.
Dies bedeutet nichts anderes, als dass man bei einer Neufassung eines Gesetzes oder einer Verordnung diejenigen Normen nennen muss, die eine Veränderung gestatten.
Gesetz oder Verordnungen, die unter Verstoß gegen das Zitiergebot zustande kommen, sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nichtig.
Sehen wir uns die Sache einmal näher an
In der Einleitung zur Straßenverkehrsordnung in der Fassung vom 06.03.2013 wird ausdrücklich auf § 6 Nr. 3 StVG, Buchstabe c sowie Buchstabe f-e, Nr.4a, 7,13,14,16,17,18 des Straßenverkehrsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 05.03.2003 verwiesen
Auch zitiert man § 6 Abs. 1 Nr.3 Buchstabe d und e, Nr. 5a, 6,7,15 in Verbindung mit Abs. 2a des Straßenverkehrsgesetzes in gleicher Fassung.
Dies klingt fürchterlich komplex, jedoch müssen wir uns mit den einzelnen Unterpunkten nicht weiter befassen, sondern lediglich einmal einen Blick in § 6 Straßenverkehrsgesetz werfen, wo es (abgekürzt) wie folgt heißt:
§ 6 Abs. 1 StVG:
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen über:
1. …
2. …
3. die sonstigen zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen ….
Liest man nun die Einleitung zur StVO 2013 genau, fällt auf, dass der „Einleitungssatz“ der Nr. 3 des Absatzes 1 von § 6 StVO nicht wörtlich zitiert wurde, sondern nur die Zitierung verschiedener Unterpunkte erfolgte.
Wie unter Juristen üblich, kann man sich nun trefflich darüber streiten, ob es einer Zitierung des Einleitungssatzes von Nr. 3 Abs. 1 § 6 StVG in wörtlicher Form bedurfte.
Ich selbst stelle mich mit dem Stuttgarter Richter sowie beiden baden-württembergischen Ministerien auf den Standpunkt, dass Derartiges zwingend hätte geschehen müssen.
Das Bundesverkehrsministerium und auch der ADAC (was bei Letzterem verwundert) sehen dies offensichtlich anders – sie gehen davon aus, das Zitiergebot sei nicht verletzt worden.
Unabhängig davon, wie der Streit schlussendlich endet, gebe ich Folgendes zu bedenken:
1. Bei laufenden Bußgeldverfahren muss man einen Richter finden, der sich meiner Meinung anschließt.
2. Ist dies nicht der Fall, muss man, so eine Rechtsbeschwerde (beispielsweise im Falle eines Fahrverbots) möglich ist, einen OLG – Senat ausfindig machen, der meine Rechtsauffassung teilt.
3. Gleiches gilt in OWI-Verfahren, in denen nur die Zulassung einer Rechtsbeschwerde möglich ist.
4. Es wird keinen verwundern, dass gleiches auch für Fälle gilt, in denen theoretisch eine Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Bußgeldverfahrens möglich wäre.
Voraussetzung hierfür ist, das:
a. seit der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung nicht mehr als drei Jahre verstrichen sind
b. eine Geldbuße von mehr als 250,00 Euro festgesetzt wurde
c. eine Nebenfolge mit einem Wert von mehr als 250,00 Euro (beispielsweise ein Fahrverbot) verhängt wurde.
5. Gleichfalls interessant ist das Vertreten meiner Meinung im Fahrerlaubnisrecht.
Hier stellt sich nämlich die Frage, ob die Fahrerlaubnisbehörde, in Fällen, in denen sie wegen des Erreichens der 8-Punkte-Grenze die Fahrerlaubnis entzieht, mit einer derartigen Entscheidung abwartet, bis im Rahmen eines möglichen Wiederaufnahmeverfahrens geklärt worden ist, ob die Eintragung im Fahreignungsregister Bestand hat oder nicht.
In der jetzigen Situation (der „neue“ Bußgeldkatalog wird wegen Rechtsunsicherheit nicht angewandt – die ganze Straßenverkehrsordnung steht auf dem Prüfstand) kann ich nur jedem raten, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um sich umfassend über seine in einem laufenden oder auch abgeschlossenen Bußgeldverfahren bestehenden Möglichkeiten zu informieren.
Allzeit gute Fahrt wünscht
Ihr Michael Winter