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Arbeitsrecht | 07.09.2020

Fahrzeiten von Mitarbeiter

Ist die Fahrtzeit zum Kunden vergütung­spflichtige Arbeitszeit?

Betriebs­vereinbarung kann im Tarif­vertrag geregelte Vergütung nicht einschränken

Fachbeitrag von Rechtsanwalt Dr. Peter Meides

Sind Fahrzeiten der Mitarbeiter bezahlte Arbeits­zeiten, fallen sie ins Privatleben oder stellen sie sogar Ruhezeiten dar?

Solche Fragen führen regelmäßig zu Konflikten zwischen Arbeit­gebern und Arbeit­nehmern.

  • Grund­sätzlich gilt: Der Weg zur Arbeit ist keine Arbeitszeit. Die Zeit für die Anfahrt zur ersten Tätigkeitss­tätte wird den Arbeit­nehmern deshalb nicht vergütet.
  • Es gibt jedoch Ausnahmen, etwa beim Fehlen eines festen Arbeitsorts. Ein Beispiel dafür sind Außend­ienstm­itarbeiter, die jeden Tag direkt von zuhause aus zu wechselnden betrieblichen Ein­satz­orten aufbrechen. Bei ihnen kann die Fahrzeit zum ersten und vom letzten Einsatzort vergütete Arbeitszeit sein.

Mit Betriebs­verein­barungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber lässt sich die Fahrzeiten-Vergütung von Mitarbeitern ohne festen Arbeitsort verlässlich regeln – aber nur, wenn die tarif­vertraglichen Voraus­setzungen bestehen. Das zeigt ein Fall, den das Bundes­arbeits­gericht vor kurzem entschieden hat.

Fahrzeiten können Arbeitszeiten sein

Es liegt jedenfalls nicht in der Hand des Arbeit­gebers, von sich aus festzulegen, ob bzw. welche Fahrzeiten er Mitarbeitern ohne festen Arbeitsort bezahlt. Vielmehr muss er die Rechtslage beachten: Arbeits- und Tarif­verträgen, geltende Gesetze und europa­rechtliche Bestimmungen.

Schon im Jahr 2015 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass für Arbeit­nehmer ohne festen Arbeitsort die Anfahrt zum ersten und die Heimfahrt vom letzten Einsatzort des Arbeits­tages Arbeitszeit darstellt. Ein spanischer Anbieter von Alarm­anlagen hatte Mechaniker für Wartungs- und Reparatur­arbeiten zu den jeweiligen Kunden geschickt. Die Arbeit­nehmer fuhren direkt von zuhause aus zu den Terminen – und erst ab dort vergütete ihr Arbeitgeber ihnen Arbeitszeit. Die Hinfahrt von der Wohnung zum ersten Kunden und die abendliche Rückfahrt vom letzten Einsatz nach Hause wurden als Ruhezeit verbucht.

Die Richter am EuGH sahen darin einen Verstoß gegen die EU-Richtlinie zur Arbeitszeit­gestaltung: auch die Fahrten von und zur Wohnung waren in diesem Fall Arbeitszeit. Der Grund war, dass die Fahrzeit der Außen­dienst-Mechaniker untrennbar mit ihrer eigentlichen Arbeits­leistung zusammenhing.

Klage gegen Betriebsvereinbarung

Eine weitere Ent­scheidung zum Thema fällte das Bundes­arbeits­gericht vor einigen Monaten. Auch in diesem Fall ging es um Fahrzeiten eines Service-Mitarbeiters im Außend­ienst auf dem Weg von der Wohnung zum ersten Kunden bzw. vom letzten Einsatz des Tages zurück nach Hause. Für den Arbeit­nehmer galt der Mantel­tarif­vertrag für den Groß- und Einzel­handel Nieder­sachsen.

Gemäß einer Betriebs­vereinbarung, die in dem niedersächsischen Unternehmen bestand, sollten solche Fahrten erst dann als Arbeits­zeiten zählen, wenn die Fahrzeit 20 Minuten überschritten hatte. Der klagende Arbeit­nehmer wollte jedoch die gesamte Fahrzeit von der ersten Minute an vergütet bekommen. Damit hatte er auch Erfolg – das BAG sprach ihm einen Entgelt­anspruch für die volle Fahrzeit zu.

Regelung im Tarifvertrag können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein

Der Grund für die Ent­scheidung des BAG: Die Betriebs­vereinbarung verstieß gegen die Tarifsperre. Das bedeutet: Die Behandlung der Fahrzeiten morgens zum ersten Kunden und abends vom letzten Kunden nach Hause war bereits im Tarif­vertrag geregelt, der für den Mitarbeiter galt. Deshalb konnte dieser Punkt nicht noch einmal durch eine Betriebs­vereinbarung geregelt werden.

Im Betriebs­verfassungs­gesetz heißt es wörtlich: „Arbeits­entgelte und sonstige Arbeits­bedingungen, die durch Tarif­vertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebs­vereinbarung sein. Dies gilt nicht, wenn ein Tarif­vertrag den Abschluss ergänzender Betriebs­verein­barungen ausdrücklich zulässt.“ (§ 77 Abs. 3 BetrVerfG)

Für eine Betriebs­vereinbarung hätte es also eine Öffnungs­klausel in dem Tarif­vertrag geben müssen. Die fehlte jedoch.

Betriebsvereinbarung zu Fahrzeiten muss arbeitsrechtlich präzise geprüft werden

Das BAG-Urteil zeigt: beim Aushandeln einer Betriebs­vereinbarung über die Bezahlung von Fahrzeiten und viele andere Themen müssen die tariflichen Gegebenheiten genau sondiert werden. Sonst wird die fertige Vereinbarung bei nächster Gelegenheit womöglich vom Arbeits­gericht wieder einkassiert.

Diese Prüfung beschränkt sich nicht darauf, nachzuschauen, ob der Tarif­vertrag Fahrzeiten erwähnt. Geklärt werden muss die konkrete Auswirkung der Tarifvertrags­bestimmungen, einschließlich der allgemein gehaltenen, und ob das konkrete Thema „üblicherweise“ per Tarif­vereinbarung geregelt wird. Das ist nicht trivial.

Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht mit viel Erfahrung im kollektiven Arbeitsrecht

Rechtsanwalt Dr. Meides berät als Fachanwalt für Arbeits­recht seit vielen Jahren Arbeitgeber wie Betriebs­räte beim Abschluss von Betriebs­verein­barungen – bei der Vorbereitung, während der Verhandlungs­führung und auch im Fall eines Einigungs­stellen­verfahrens.

Sie erreichen die MEIDES Rechts­anwalts­gesellschaft unter E-Mail MEIDES Rechts­anwälte.

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