Der Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs spräche nach Ansicht des Gerichts nicht gegen eine täuschungsbedingten Abschluss des Kaufvertrags: Die Klägerin habe nachvollziehbar im Einzelnen dargelegt, welche Kenntnisse sie seinerzeit hatte.
„Ad-hoc-Mitteilung“ von VW stellt keine umfassende Information dar
Die von Volkswagen im September 2015 herausgegebene „Ad-hoc-Mitteilung“ sei weder vom Adressatenkreis noch inhaltlich geeignet, potenzielle Kaufinteressen von Fahrzeugen umfassend zu informieren. Auch aus der Existenz von „Presseartikeln“ könne nicht auf die Kenntnis der Klägerin gefolgert werden:
Von der Manipulation der Motorsteuersoftware seien schon nicht alle Fabrikate der Marke VW betroffen, erst Recht sei es für Erwerber eines Skoda-Fahrzeugs nicht bei Fahrzeugerwerb aufgrund von Presseartikeln bekannt, dass dieser über einen EA189-Motor verfügte.
Wieder ein LG das sich nicht den Argumenten der Volkswagen AG beugt
Mit diesem Urteil schließt sich das Landgericht Kleve dem immer größer werdenden Kreis der Gerichte an, die sich nicht den Argumenten der Volkswagen AG beugen und in diesen Fällen eine Kenntnis der Betroffenen mit zum Teil abenteuerlichen Begründungen bejahen und die Klagen deshalb abweisen.
Erfolgreiche Entscheidungen der Kanzlei Rogert und Ulbrich
Die Kanzlei Rogert und Ulbrich aus Köln konnte bisher folgende Entscheidungen erstreiten, in denen der Klage trotzdem das Fahrzeug deutlich nach der Ad-hoc-Mitteilung des VW-Konzerns stattgegeben wurde (LG Bonn 06.03.2019, Az. 13 O 90/18; LG Hannover 26.04.2019, Az. 5 O 88/18; LG Osnabrück 16.04.2019, Az. 1 O 3086/18; LG Stralsund 03.04.2019, Az. 1 O 23/18; LG Stuttgart 21.06.2019, Az. 16 O 480/18; LG Stuttgart 18.01.2019, Az. 29 O 184/18; LG Wuppertal 06.06.2019, Az. 1 O 353/18; LG Wuppertal 21.11.2018, Az. 3 O 150/18).
Das LG Wuppertal (21.11.2018, Az. 3 O 150/18) brachte es auf den Punkt:
„Allein die Tatsache, dass der sog. Abgasskandal für bestimmte Berufsgruppen - sei es aus wirtschaftlichen oder rechtlichen Gründen - von besonderem Interesse war, führt nicht notwendig zu der Schlussfolgerung, dass auch der Kläger die Problematik gekannt haben muss. Dies gilt umso mehr, als ein Kennen müssen eines Umstands nicht ausreicht, um eine Täuschung darüber auszuschließen.“
In dieselbe Kerbe schlug auch das Landgericht Stralsund (Urt. 03.04.2019, Az. 1 O 23/18).
„Ein etwaiges Mitverschulden der Klägerin hat die Beklagte dazulegen und zu beweisen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Bekanntwerden der Umstände für die Käufer als Laien zunächst sehr undurchsichtig war und von der Klägerin nicht verlangt werden konnte, vertiefte Kenntnisse zu haben, die ihr den Rückschluss ermöglichten, dass das Fahrzeug ebenfalls betroffen ist.“
OLG: Grob fahrlässige Unkenntnis darf Kläger nicht schaden
Diese Tendenz zeichnet sich auch in der nächst höheren Instanz ab. So protokollierte der 7. Senat des OLG Stuttgart kürzlich in einer mündlichen Verhandlung, dass „der Anspruch aus § 826 BGB bei Kenntnis des Klägers über die Betroffenheit des konkreten Fahrzeugs vom sog. “Dieselskandal„ ausgeschlossen sein könnte. Nicht ausreichend dürfte jedoch sein, dass der Kläger aufgrund von Ad-hoc-Mitteilungen, Presseberichterstattungen und Ähnlichem allgemein vom sog. “Dieselskandal„ ggf. Kenntnis hatte und daher von einer Betroffenheit des Fahrzeugs hätte wissen können. Insoweit dürfte auch eine grob fahrlässige Unkenntnis (des Klägers) nicht schaden“. (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.07.2019, Az. 7 U 50/19).
„Auch in dieser Problematik findet erfreulicherweise derzeit eine Wende statt. Die Rechtsprechung schützt auch in diesen Fällen die Rechte des Verbrauchers und tritt mit Entschiedenheit den fadenscheinigen Argumenten der Volkswagen AG gegenüber,“ stellt der Kölner Rechtsanwalt Prof. Dr. Marco Rogert erfreut fest.