Somit betrifft diese Untätigkeitsklage alle Angelegenheiten, wofür das Sozialgericht zuständig ist.
Hierzu gehören u.a.:
- Streitigkeiten mit den gesetzlichen Rentenversicherungen (wie Renten wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung),
- Krankenversicherungen (wie Einstellung der Zahlung des Krankengeldes),
- Pflegeversicherungen (wie Entscheidungen zum Pflegegrad),
- Arbeitslosenversicherung (wie Entscheidungen über eine Sperrzeit),
- Berufsgenossenschaften (wie Entscheidungen zu Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und Wegeunfällen),
- Streitigkeiten mit den Versorgungsämtern (wie Grad der Schwerbehinderung und Zuerkennung von Merkzeichen),
- Jobcentern (SGB II – Leistungen) und Grundsicherungsämtern (SGB XII – Leistungen).
Leistungsträger überschreitet gesetzliche Bearbeitungsfrist
Nach dem Gesetz soll der Sozialleistungsträger über einen Antrag innerhalb von sechs Monaten und über einen Widerspruch innerhalb von drei Monaten entscheiden. Dies soll gewährleisten, dass zeitnah über die Anträge und Widersprüche entschieden wird, da gerade bei Sozialleistungen die spätere Erbringung häufig den eigentlichen Sinn verfehlt. Beispielsweise nutzt es dem Schwerbehinderten wenig, wenn er erst nach Jahren rückwirkend einen Grad der Behinderung von 50 Prozent zugesprochen bekommt. Innerhalb dieser Bearbeitungszeit könnten die Nachteilsausgleiche, wie auch Beispielsweise der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte noch nicht genutzt werden.
Ausnahmsweise längere Bearbeitungszeiten
Wenn Beispielsweise die Behörde mitteilt, welche konkreten Ermittlungen noch notwendig sind und warum diese nicht innerhalb der Frist abgeschlossen werden können, könnte Ausnahmsweise die Frist verlängert werden. Personalmangel und unzureichende Organisation der Sozialverwaltung sind jedoch kein Grund. Die Behörde hat sich so zu organisieren, dass diese selbst innerhalb der gesetzlichen Frist arbeitet. Sicherlich kann man auch vereinbaren, dass noch nicht über den Antrag oder Widerspruch entschieden werden soll, was in Einzelfällen Sinn machen kann.
Das Sozialgericht Detmold hat mit Gerichtsbescheid vom 18.04.2023 zum Aktenzeichen S 35 SO 138/22 nochmals klargestellt: „Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung eine Widerspruchs liegt dann nicht vor, wenn bei der Behörde dauerhaft eine unzureichende sachliche oder personelle Ausstattung vorliegt und ein zeitgerecht Entscheidung deshalb nicht möglich ist.“ Weiter stellte das Gericht klar: „Die Behörde hat – aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz folgend – regelmäßig sicherzustellen, dass ihre Abläufe derart organisiert sind, dass eine Bescheidung innerhalb der gesetzlichen Fristen erfolgen kann.“
Das Hessische Landessozialgericht hat bereits mit Beschluss vom 20.11.2012 zum Aktenzeichen L 7 AS 484/12 B entschieden, dass es unstatthaft ist, wenn eine Behörde mehrere Monate zuwartet und erst gegen Ende der Frist des § 88 SGG oder noch später tätig wird. Vielmehr ist das Verfahren innerhalb der Frist abzuschließen.
Die Entscheidungen verweisen häufig zudem auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.1985 zum Aktenzeichen 2 BvR 1145/83. Hier hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine erhebliche Verzögerung durch eine Behörde als Untätigkeit gegen das Willkürverbot des Artikels 3 Absatz 1 Grundgesetz verstoßen kann. Am Willkürverbot sind hiernach „nicht alleine die von den Behörden getroffenen Entscheidungen zu messen, es gilt auch für die Handhabung des Verfahrens, dass der Herbeiführung einer gesetzmäßigen, gerechten und letztlich auch in angemessener Zeit gefundenen Entscheidung dient“.
Muss der Antragsteller / Widerspruchsführer vor Klage bei der Behörde nachfragen
Nein. Die gesetzlichen Fristen sind eindeutig. Beispielsweise hat das Sozialgericht Bremen am 13.11.2016 zum Aktenzeichen S 21 AS 231/15 entschieden, dass eine vorherige Sachstandsanfrage nicht erforderlich ist. Die Behörde hat dem Antragsteller einer berechtigten Untätigkeitsklage auch die Kosten für seinen Rechtsanwalt auf der Grundlage der gesetzlichen Gebühren zu erstatten.
Das Hessische Landessozialgericht hat mit Beschluss vom 09.06.20022 zum Aktenzeichen L 4 SO 17/22 B ebenfalls bestätigt, dass es vor der Erhebung der Klage wegen Untätigkeit keine Erkundungspflicht gibt. Vielmehr hat die Behörde / Sozialversicherung die Möglichkeit, einer Untätigkeitsklage vorzubeugen. Hierzu muss sie von sich aus dem Antragsteller, bzw. Widerspruchsführer vor Ablauf der Frist den zureichenden Grund für die Nichtbescheidung innerhalb der gesetzlich vorgegeben Frist mitteilen.