Während zu Fragen der Hauptleistungspflichten des Unternehmers (Provisionszahlung während der Vertragslaufzeit bzw. Ausgleichsanspruch nach Beendigung des Handelsvertretervertrags) rechtlich mittlerweile vieles geklärt ist und die Streitfragen sich regelmäßig um Tatsachenfragen drehen (z.B.: Wer ist verantwortlich für die Nichtausführung eines vermittelten Geschäfts? Welcher Kunde ist ein ausgleichspflichtiger Stammkunde?), gibt es bei den vertraglichen Nebenpflichten des Unternehmers durchaus noch rechtliches Neuland.
Überlassung von Unterlagen im Sinne von § 86a Abs.1 HGB
Ein Beispiel ist die Pflicht des Unternehmers, dem Handelsvertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen „Unterlagen“ zur Verfügung zu stellen.
Dem Gesetz nicht zu entnehmen, aber ganz einhellige Meinung ist, dass der Unternehmer verpflichtet ist, diese „Unterlagen“ für den Handelsvertreter kostenfrei zur Verfügung zu stellen. „Unterlage“ meint dabei im weitesten Sinne alles, was der Handelsvertreter benötigt, um die Produkte des Unternehmers dem Kunden anpreisen zu können.
Das Gesetz enthält in § 86a Abs. 1 HGB eine Aufzählung und nennt unter anderem Muster, Preislisten und Werbedrucksachen als Beispiele. Diese Aufzählung lässt zunächst vermuten, dass es sich bei Unterlagen im Sinne von § 86a Abs. 1 HGB um papiergebundene Unterlagen handelt. Ausgehend vom historischen Gesetzgeber der 1950er Jahre war dies auch zutreffend. Heute ist dies im Zeitalter moderner Kommunikationsmittel aber längst nicht mehr uneingeschränkt richtig. Der Begriff der Unterlagen ist heute grundsätzlich weit zu fassen und die gesetzliche Aufzählung ist nicht abschließend.
Streit um ein Kassensystem als „Unterlage“
Welche Streitfragen sich hier entwickeln können, zeigt sich unter anderem an folgendem Fall: Ein Tankstellenpächter und ein Mineralölunternehmen stritten darüber, inwieweit das von dem Mineralölunternehmen zur Verfügung gestellte multifunktionale Kassensystem eine Unterlage im Sinne von § 86a Abs. 1 HGB darstellt. Der Tankstellenpächter, ein Handelsvertreter, klagte nämlich gegen das Unternehmen auf Rückzahlung von über mehrere Jahre gezahlten monatlichen Kassenpachten. Zur Begründung führte er an, das Kassensystem hätte ihm vom Unternehmer unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden müssen.
Ein tragendes Argument des Handelsvertreters war hierbei, dass er vom Unternehmer die Preise der von ihm verkauften Agenturwaren (hier insbesondere die Kraftstoffpreise) online über das Kassensystem übermittelt bekam.
Auf der anderen Seite erfüllte das Kassensystem aber auch eine ganze Reihe weiterer Funktionen, die in erster Linie dem Geschäftsbetrieb des Handelsvertreters zuzuordnen waren (Abrechnung von Einnahmen / Ausgaben, Erstellung von Umsatzsteuererklärungen etc.). Dem Anspruch des Handelsvertreters aus § 86a Abs. 1 HGB auf kostenfreie Unterlagen stand insoweit § 87d HGB gegenüber, wonach der Handelsvertreter die mit der Führung seines Geschäftsbetriebs verbundenen Aufwendungen in der Regel selbst zu tragen hat.
Der Fall ging bis zum BGH (Az. VII ZR 6/16), der im Grundsatz bestätigt hat, dass auch ein elektronisches Kassensystem eine „Unterlage“ im Sinne von § 86a Abs. 1 HGB sein kann. Da dies im vorliegenden Fall aber nur Teilfunktionen betraf, hat der BGH das Verfahren an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Im Wege ergänzender Vertragsauslegung müsse weiter aufgeklärt werden, welcher Teil der Kassenpacht auf die Preisübermittlung entfalle und welcher auf grundsätzlich vom Handelsvertreter zu vergütende Zusatzfunktionen.
Insoweit bleiben die vertraglichen Nebenpflichten ein interessantes Spielfeld des Handelsvertreterrechts.
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