Der Anwalt des Klägers, Prof. Marco Rogert, spricht von einem richtungsweisenden Urteil für die Verbraucher, da mehrere hunderttausend Betroffene nun ebenfalls Schadensersatz von VW verlangen könnten. Bislang entschieden alle OLGs in Deutschland zugunsten der Volkswagen AG - mit diesem Urteil stellt sich nun eine komplett neue Sachlage dar.
Kenntnis des Käufers hat keinen Einfluss auf Haftung
Der 16. Januar 2020 ist ein höchst erfolgreicher Tag für den Verbraucherschutz. An diesem Datum sprach das Oberlandesgericht Oldenburg Recht zugunsten der Verbraucher, wovon künftig Hunderttausende profitieren könnten. Laut OLG Oldenburg hat die Kenntnis des Käufers hinsichtlich der illegalen Abschalteinrichtung keinen Einfluss auf die Haftung des Autoherstellers. Nun können zahlreiche Käufer unzulässig in Verkehr gebrachter Dieselfahrzeuge Hoffnung schöpfen, dass ihnen ebenfalls Recht gesprochen wird.
Autokauf nach Kenntnis des Abgasskandals
In dem Verfahren ging es um einen VW Caddy, den der Kläger im Februar 2016 erworben hatte, also fünf Monate nach allgemeiner Kenntnisnahme des sogenannten Abgasskandals. (Aktenzeichen: 14 U 166/19 OLG Oldenburg). Der Kläger aus Niedersachsen verlangte von Volkswagen Schadensersatz. Der Senat gab der Klage statt und verurteile den Wolfsburger Autokonzern auf Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung.
Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung
VW hat laut Gericht den Tatbestand der vorsätzlich sittenwidrigen Handlung erfüllt, indem das Unternehmen den Motor des Typs EA 189 mit der verbotenen Abschaltautomatik konzipiert, gebaut und das mit diesem Motor ausgestattete Fahrzeug in den Verkehr gebracht hat. Der dem Verbraucher entstandene Schaden liegt im Abschluss eines ungewollten Vertrages. Der Autohersteller hat die Ahnungslosigkeit der Verbraucher bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt. Diese Gesinnung sowie die Inkaufnahme der mit dem erhöhten Stickoxid-Ausstoß riskierten Umwelt- und Gesundheitsschäden lassen das Verhalten VWs insgesamt sittenwidrig erscheinen.
OLG: Vorsätzlich sittenwidriges Handeln darf nicht belohnt werden
Auf diese Sachlage hat auch die Ad-Hoc Mitteilung des Konzerns vom Herbst 2015 keine Auswirkung. Denn nachträgliche Änderungen wie die aufklärende Maßnahme der Ad-Hoc Mitteilung haben auf die zivilrechtliche Haftung des Konzerns keinen Einfluss, wenn der Schaden dennoch eintrete. Das Gericht argumentiert, dass analog zum Strafrecht es nicht angemessen sei, bei einem beendeten Versuch Rücktrittsbemühungen des Täters mit Straflosigkeit zu belohnen, wenn sie im Ergebnis ohne Erfolg bleiben und die „Tat“ dennoch vollendet wird. Dass das Risiko der gegebenenfalls den Einzelnen nicht erreichten Aufklärungsmaßnahme der VW AG dem geschädigten Käufer angelastet wird, erscheint laut Gericht nicht sachgerecht.
Anspruch auf deliktische Zinsen
Zusätzlich erhält der Kläger 4 Prozent Deliktzinsen auf den Bruttokaufpreis minus der Nutzungsentschädigung ab dem 9. Februar 2016. Dem Käufer des VW Caddys stehen laut Gericht die Zinsen zu, denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann derjenige, dem Geld deliktisch entzogen worden ist, die Verzinsung des Betrages ab dem Zeitpunkt verlangen, zu dem ihm der Betrag entzogen worden ist.
Wir bleiben für die Betrugsopfer am Ball
Prof. Rogert erklärt: „Die Karten für Käufer betroffener Fahrzeuge, deren Erwerb nach der Pressekonferenz von Prof. Winterkorn im September 2015 stattfand, werden komplett neu gemischt. Aber auch für alle anderen zeigt sich, dass durch die zugesprochenen Zinsen ein attraktiver Schadenersatz realisieren lässt. Wir freuen uns, dass wir unsere Vorreiterrolle wieder einmal bestätigen können und bleiben für die Betrugsopfer am Ball.“