Die Kündigungen im Massenentlassungsverfahren sind – vorbehaltlich der Erfüllung sonstiger Kündigungsvoraussetzungen – wirksam, wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist.
Kläger beruft sich auf EuGH-Rechtsprechung
Das Kündigungsschreiben ging dem hier vorliegenden Kläger am 27.06.2017 zu. In seiner Kündigungsschutzklage machte er auch geltend, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union habe der Arbeitgeber auch seiner Anzeigepflicht vor einer Entscheidung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses nachzukommen. Deshalb war er der Meinung, die Unterschrift unter das Kündigungsschreiben, mit der die Kündigungserklärung konstitutiv geschaffen werde, erst erfolgen dürfe, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist.
LAG bejaht Auffassung des Arbeitnehmers
Das Landesarbeitsgericht ist der Auffassung des Klägers gefolgt. Es hat der Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts stattgegeben. Die Anzeige müsse die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung treffe, was sich in der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens manifestiere, so das Landesarbeitsgericht.
BAG: Massenentlassungsanzeige dient beschäftigungspolitischen Zwecken
Die Revision des Beklagten hatte beim Bundesarbeitsgericht Erfolg. Dieses nahm die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht vor. Das Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass selbstständig neben dem nach § 17 Abs. 2 KSchG durchzuführenden Konsultationsverfahren stehende, in § 17 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 2 bis 5 KSchG geregelte Anzeigeverfahren diene beschäftigungspolitischen Zwecken. Die zuständige Agentur für Arbeit solle rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Hierzu müsse bereits feststehen, wie viele und welche Arbeitnehmer konkret entlassen werden sollen. Auf den Willensentschluss des Arbeitgebers zur Kündigung könne, solle und wolle die Agentur für Arbeit – anders als der Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens – keinen Einfluss nehmen, so das Bundesarbeitsgericht.
Kündigung darf erst nach Zugang der Anzeige beim Arbeitsamt erfolgen
Zutreffend dürfe die Kündigung erst dann erfolgen, also dem Arbeitnehmer zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB), wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist. Dies sei durch die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) geklärt. Es kommt somit nicht auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung der Kündigung, sondern auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim Arbeitnehmer an.
Vorinstanz muss erneut entscheiden
Das Bundesarbeitsgericht konnte anhand der bisher getroffenen Feststellungen die Wirksamkeit der Kündigung nicht abschließend beurteilen. Das Landesarbeitsgericht werde aufzuklären haben, ob die Massenentlassungsanzeige inhaltlich den Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügte und ob das Anhörungsverfahren gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß eingeleitet wurde. Diese weiteren Voraussetzungen sind durch das Landesarbeitsgericht aufzuklären.
Weitere Informationen unter: www.kuendigungsschutz-arbeitnehmer.de