Im letzten Jahr wurde ein Mitarbeiter versehentlich vergessen. Daraufhin ließ der den Geschäftsführer wissen, er habe einen Anspruch auf seinen Stollen. Und nun fragt der Arbeitgeber: Kann das sein? Davon steht schließlich nichts im Arbeitsvertrag. Es gibt auch keine Betriebsvereinbarung dazu.
Doch die Antwort lautet: Ja, das ist möglich. Der Stollen ist inzwischen wohl zur betrieblichen Übung geworden – und damit zur Pflicht des Arbeitgebers. Das Gleiche kann auch mit anderen vermeintlich freiwilligen Leistungen passieren, deren Wert weit über einen Stollen hinausgeht. Arbeitgeber sollten sich vorsehen.
Was kann alles zur betrieblichen Übung werden?
Sehr vieles – im Prinzip alles, was im Arbeitsvertrag stehen könnte, aber nicht drinsteht.
Beispiele für mögliche Betriebliche Übungen:
- manche freiwilligen Zahlungen, etwa Fahrtkostenzuschüsse oder Essensgeld
- übernommene Fortbildungskosten
- Trennungsgeld beim Einsatz fern vom Wohnort
- Mitarbeiterrabatte
- Geldgeschenke zu runden Geburtstagen oder zur Hochzeit
- Urlaub bei der Geburt eines Kindes
- die jahrelange freiwillige (!) Übernahme von Regelungen aus einem Tarifvertrag
Betriebliche Übung: Was Arbeitsrechtler darunter verstehen
Um eine Betriebliche Übung handelt es sich bei bestimmten Verhaltensweisen des Arbeitgebers, die sich regelmäßig wiederholen.
Der Arbeitnehmer darf aufgrund dessen darauf vertrauen, dass diese auch in Zukunft wiederholt werden „Betriebliche Übung“.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hält die Betriebliche Übung für ein Angebot des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer, das dieser stillschweigend annimmt. Und deshalb wird der Arbeitsvertrag um diesen Punkt ergänzt, ohne dass weitere Ausführungen nötig wären.
Wie entsteht eine Betriebliche Übung?
Nur dann, wenn dazu nichts vertraglich geregelt ist, weder in einem Arbeits- oder Tarifvertrag noch in einer Betriebsvereinbarung. Sonst gilt grundsätzlich, was dort steht.
Die Vergünstigung muss regelmäßig und gleichförmig wiederholt werden. Wenn die Großbäckerei in einem Jahr einen Stollen überreicht, im nächsten Jahr nichts und im dritten einen Gutschein, dann ist das wohl keine Betriebliche Übung. Letztlich kommt es aber auf den Einzelfall an, d. h. auf die Art, die Dauer und die Intensität der Leistung. Allgemeinverbindliche Regelungen, ab wie viel Wiederholungen eine Betriebliche Übung entsteht, gibt es nicht wirklich.
Aber Achtung: Jedenfalls für freiwillige jährliche Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld reichen drei aufeinanderfolgende Zahlungen, wenn diese vorbehaltlos geleistet werden.
Außerdem muss der überwiegende Teil der Belegschaft oder ein klar abgrenzbarer Teil profitieren, nicht nur ein einzelner Arbeitnehmer. Wenn nur Frau Müller jährlich zum Tag der Umwelt freibekommt, weil ihre Aktionsgruppe da im Wald Müll sammelt, kann der Rest der Belegschaft keine Freizeit einfordern.
Wie lässt sich das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindern?
Das ist für Arbeitgeber natürlich die entscheidende Frage. Vielleicht will der Chef ja den Mitarbeitern an Rosenmontag frei geben – ohne Verpflichtung auf alle Ewigkeit.
Das geht. Eine Betriebliche Übung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn …
die Leistung oder Vergünstigung ausdrücklich freiwillig erfolgt, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht,
oder [nicht „und“!] sich der Arbeitgeber einen Widerruf vorbehält,
oder eine freiwillig geleistete Sonderzahlung jedes Jahr in unterschiedlicher Höhe gewährt wird.
Auch hier gilt jedoch: Der Einzelfall entscheidet. Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 13.5.2015 – 10 AZR 266/14) hat auch schon bei Sonderzahlungen in schwankender Höhe und mit unterschiedlicher Berechnungsgrundlage im Prinzip einen Anspruch bejaht.
Von vornherein verhindern lässt sich die Betriebliche Übung durch eine sogenannte doppelte Schriftformklausel: Dann steht im Arbeitsvertrag, dass jede Änderung in Schriftform erfolgen muss. (Und diese Klausel selbst kann auch nur schriftlich geändert werden). Neue Rechtsprechung stellt aber auch diese Vorgehensweise in Frage.
Wie lässt sich eine Betriebliche Übung beenden?
Ist die Betriebliche Übung erst einmal entstanden, kann sie der Arbeitgeber nicht mehr einseitig zurücknehmen. Er kann nur noch
- einen Aufhebungsvertrag mit den betroffenen Arbeitnehmern schließen oder
- eine (sozial gerechtfertigte) Änderungskündigung auszusprechen.
Durch eine Betriebsvereinbarung kann man die Betriebliche Übung nicht loswerden. Jeder einzelne, begünstigte Mitarbeiter muss zustimmen, sonst stehen die Chancen für den Arbeitgeber schlecht.
Fragen zur betrieblichen Übung?
Gibt es in Ihrem Unternehmen Gepflogenheiten, die womöglich eine Betriebliche Übung darstellen? Dann klären Sie das am besten, bevor Mitarbeiter Sie dazu zwingen. Als Fachanwälte für Arbeitsrecht wissen wir genau, wie man eine Betriebliche Übung in der Praxis verhindert oder wieder loswird. Sie erreichen unsere Kanzlei unter 069-95929790 sowie unter ffm@meides.de.