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Ordnungswidrigkeitenrecht und Verkehrsrecht | 01.02.2018

Absehen vom Regelfahr­verbot

„Entschuldigender Notstand“: Notdurft ist nicht gleich Notstand!

Was hat das mit Verkehrs­recht zu tun, fragt sich der geneigte Leser nun - hier die Antwort

Fachbeitrag von Rechtsanwalt Jan Steinmetz

Ein für eine Geschwindigkeits­übertretung vorgesehenes Fahrverbot kann in eng begrenzten Ausnahme­fällen entfallen, d.h. das Gericht kann von dem im Bußgeld­bescheid angeordneten Fahrverbot absehen, weil besondere Umstände vorliegen.

Eine Ordnungs­widrigkeit wegen zu schnellen Fahrens ist nur dann zu ahnden, wenn sie auch schuldhaft begangen wurde. Das Verschulden kann entfallen beim sogenannten „Entschuldigenden Notstand“. Selbst wenn das Gericht die rechtlichen Voraus­setzungen einer solchen notstands­ähnlichen Situation nicht annimmt, kann der Fahrzeug­führer auf Milde hoffen.

OLG Hamm zum Absehen vom Regelfahrverbot

Beispielhaft ist dafür ein jüngst vom Oberlandesgericht Hamm entschiedener Fall (Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 10.10.2017, Az. 4 RBs 326/17). Das Gericht entschied, dass ein Absehen vom Regelfahr­verbot in Betracht komme, wenn der Fahrer plötzlich und unerwartet starken Harndrang verspüre, der unabweisbar sei und wenn er deshalb schneller fährt als zulässig, um möglichst schnell eine Gelegenheit zur Verrichtung seines dringenden Geschäfts zu finden.

Wie kam es dazu?

Ein 61-jähriger Autofahrer hatte die zulässige Höchstg­eschwindigkeit auf einer Bundes­straße um 29 km/h überschritten. Die Bußgeld­stelle ahndete dies mit einer Geldbuße in Höhe von 80 Euro und verhängte gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV das dort vorgesehene Regelfahr­verbot von einem Monat, denn der Betroffene hatte innerhalb eines Jahres zum zweiten Mal die zulässige Geschwindigkeit um mindestens 26 km/h überschritten. Er wollte dies nicht akzeptieren und legte Einspruch gegen den Bußgeld­bescheid ein.

Autofahrer verweist auf teilweise Inkontinenz aufgrund einer Prostataoperation

Vor dem Amtsgericht kam es zur Haupt­verhandlung. Dort berief sich der Fahrer auf teilweise Inkontinenz nach Prostata­operation und dass er deshalb plötzlich einen starken, schmerzhaften Harndrang verspürt habe. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein sehr starker Drang zur Verrichtung der Notdurft, der durch die besondere körperliche Disposition des Betroffenen bedingt ist (etwa: Krankheit, Gebrechen oder Schwangerschaft) und der ursächlich für die Geschwindigkeits­überschreitung war (in dem Sinne, dass so versucht wurde, bald­möglichst eine Toilette aufsuchen zu können oder der Betroffene abgelenkt war), ein Grund sein kann, vom Regelfahr­verbot abzusehen. (so das OLG Saar­brücken, AG Bad Segeberg, OLG Zweibrücken).

AG hielt am Fahrverbot fest

Dem Amtsgericht Paderborn war dies egal, es hielt am Fahrverbot fest (AG Paderborn, Urteil v. 2.6.2017, 77 Owi 121/17). Damit fand sich der – seiner Auffassung nach zu Unrecht – verurteilte Fahrzeug­führer nicht ab.

OLG hebt erstinstanzliches Urteil auf

Über die gegen das Urteil des Amts­gerichts erhobene Rechts­beschwerde entschied das Oberlandes­gericht Hamm und wies das Amtsgericht insoweit zurecht, als dass es die Argumente des Betroffenen zumindest für so wichtig hielt, dass der Amtsrichter sich damit hätte auseinandersetzen müssen anstatt sich kommentar­los darüber hinweg­zusetzen. Wegen des damit bestehenden sogenannten Erörterungs­defizits wurde das erstinstanzliche Urteil aufgehoben.

Amtsgericht muss Umstände des Einzelfalls prüfen

Ob von dem Regelfahr­verbot wegen des plötzlichen Harndrangs abzusehen sei, müsse das Amtsgericht anhand weiterer Umstände nun prüfen und dann erneut urteilen, ob die Geschwindigkeits­übertretung insgesamt als weniger gravierend erscheint. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass Fahrzeug­führer die Planung einer Fahrt auf ihre körperliche Disposition einrichten und entsprechende Vor­kehrungen treffen müssten, um gegebenenfalls auf plötzlich auf­tretenden Harn- oder Stuhldrang rechtzeitig reagieren zu können, wobei starkes Verkehrs­aufkommen, Staubildung, Umleitungen usw. nicht immer vollständig berücksichtigt werden könnten. Der Tatrichter müsse daher alle Umstände der Tat aufklären und bei der Abwägung berücksichtigen. Das

Bloßer Umstand bestimmter körperlicher Dispositionen für Befreiung von Regelfahrverbot nicht ausreichend

Das Oberlandesgericht Hamm stellte jedoch deutlich klar, dass der bloße Umstand einer krankheits­bedingt „schwachen Blase“ bei einer Geschwindigkeits­überschreitung infolge plötzlich auf­tretenden Harndrangs, weil der Betroffene schneller zu einer Toilette gelangen wollte oder infolge des starken Harndrangs abgelenkt war, nur in Ausnahme­fällen geeignet sein könne, um von der Anordnung eines Regelfahr­verbot abzusehen.

Ergänzend wies das Oberlandesgericht Hamm darauf hin, dass es auch zum Nachteil des Fahrers ausgelegt werden kann, wenn er im Wissen um sein Problem trotzdem eine Fahrt antritt, ohne Vor­kehrungen zu treffen, die geeignet sind, einen plötzlich auf­tretenden starken Harndrang zu vermeiden oder ihm rechtzeitig abzuhelfen.

Ausrede einer dringenden Notdurft nicht pauschal

Diese Ausrede einer dringenden Notdurft hilft eben nicht pauschal. Beispielhaft hatte das Amtsgericht Lüdinghausen (Amtsgericht Lüdinghausen, Urteil vom 17.02.2014, Az. 19 OWi-89 Js 155/14-21/14) einem Fahrer, der angab, er sei wegen des „starken Stuhldrangs“ unaufmerksam gewesen, vorgehalten, da er bereits vor Erreichen der Geschwindigkeits­begrenzungs­zone Probleme in seinem Darm wahr­genommen hatte, unter denen er bereits seit geraumer Zeit leide, hätte er erwägen müssen, ob er überhaupt in der Lage war, die Fahrt anzutreten. Gegebenenfalls hätten Umwege gefahren werden müssen, um es jederzeit zu ermöglichen, einem plötzl­ichen Stuhldrang nachzukommen. Auch hätte sich eine frühzeitige Fahrt­unterbrechung oder gar -beendigung angeboten.

Der Bußgeld­richter muss also immer die näheren Umstände einer Geschwindigkeits­überschreitung auch in die Erwägungen zur Rechts­folgen­bemessung einbeziehen.

Durch Anwalt beraten lassen

Der Fahrzeug­führer muss immer abwägen, am besten anwaltlich beraten, was und wie er sich zu seinem „Entschuldigungs­grund“ einlässt.

Ein Fachbeitrag von [Anbieter­kenn­zeichnung]

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